jörg piringer, fünf minuten in die zukunftDer Ausblick ist gebremst optimistisch, wenn sich jemand nur kurz in der Zukunft aufhalten möchte. Die „fünf Minuten in der Zukunft“ erinnern an das klassische „nach zwölf“, wo alles schon zu spät ist. Andererseits sind diese paar Minuten höchstens eine Art Probe-Abo, das man sich kurz anschaut, ohne mit voller Kraft in die Zukunft zu schreiten.

Jörg Piringer versucht mit den Mitteln von abgebrühter Lyrik und innovativer Graphik-Software ein paar Augenblicke lang in die Zukunft zu schauen. Dabei wird die Gegenwart standfest gemacht, damit man das lyrische Personal mit dem Spielbein ein wenig ins Ungewisse hineintappen lassen kann.

bernhard setzwein, kafkas reise durch die bucklige weltAufregende Vorstellung: Franz Kafka hat 1924 seinen Tod nur vorgetäuscht, ist untergetaucht, hat die Nazis überlebt und erscheint nach 1945 in Meran, wo er im Apollo-Kino Karten abreißt. Als Qualifikation für diese Tätigkeit dient ihm die eigene Erzählung vom Türhüter, welcher bekanntlich streng darauf achtet, dass niemand Falscher das Gebäude betritt.

Bernhard Setzwein schöpft mit seinem Roman „Kafkas Reise durch die bucklige Welt“ in vollen Zügen aus dem Mythos „Kafkaniens“. In diesem Reich halten sich das Groteske, Bürokratische und Entgleiste die Waage. Südtirol ist als wundersamer Fixpunkt verankert: Seit 1920 Franz Kafka eine schwere Depression in Meran zu lindern versucht, wird in der Literaturszenerie diese Kurstadt zum Inbegriff für schwermütige Heilungsversuche.

ilse kilic, das schlaue vom himmelVielleicht ist Literatur eine flüchtige Art von Materie, die sich manchmal um eine Lebensweisheit versammelt, die nach deren Verzehr wieder verschwindet.

Ilse Kilic ist mit ihrer blau-hörig machenden Fügung vom „Schalauen vom Himmel“ mit einer Versuchsunordnung unterwegs. Ihre Bücher sind eine Art Vorlesung für nicht planbare Überlegungen, die an einer Weiche aus einem Hauptstrang entspringen oder wie streunende Texte durch die Regale ziehen. „Weiche“ und „streunende Texte“ werden ermunternd im programmatischen Vorspann erklärt, der stracks in die Versuchsunordnung hineinführt.

bernhard hüttenegger, wer seinen sohn liebtDas schriftstellerische Werk gilt Meistern erst dann als abgerundet, wenn darin jene Kindheit erzählt ist, die zum Schreiben geführt hat.

Bernhard Hüttenegger hat all seine Schreib-, Erinnerungs- und Bildkraft aufgeboten, um aus der Erfahrung einer geglückten Berufswahl zu erzählen, welche stummen Leiden und sprachlosen Gesten dafür notwendig gewesen sind. Der geschäftigen Welt entrückt sitzt im Schlussbild der Sohn an einem norwegischen Fjord, und lässt seine Gedanken an der Kante zwischen Witterung und Wasser oszillieren. In einer versöhnlich-pädagogischen Coda ist ein Sohn zum Sohn geworden.

kurt drawert, alles neigt sich zum unverständlichen hinDas Thema eines jeden Langgedichts ist der Atem, nur wer den sprichwörtlich langen Atem hat, kann es lesen oder schreiben.

Kurt Drawert setzt alles auf eine Karte und arrangiert „es“ zu einem Langgedicht. Der poetische Atem wird fürs erste nur unterbrochen durch die Bewegung des Umblätterns. Ein wenig später jedoch tut sich eine erste Struktur auf: In vierzehn Paragraphen wird die Materie zerteilt wie auf einem Verschiebebahnhof, um bald darauf wieder in neuer Zusammenstellung aus dem Gedächtnis-Knoten zu rollen.

Die Paragraphen sind mit Überschriften versehen, die eine vage Richtung angeben, wohin zu denken ist. „Die Würde des Menschen ist. / Das Ypsilon der Hysterie. / Anfang + Ende. / Die letzte Stunde. Vor den Spätnachrichten. / Psalmen. Gebete.“

helwig brunner, flirrenEin guter Zukunftsroman lässt sich mit der Hochrechnung für einen Wahlabend vergleichen, die Stimmen sind abgegeben und werden ausgezählt, die Spannung steigt, und das Ergebnis wird mit der Prognose halbwegs übereinstimmen.

Helwig Brunner arbeitet mit seinem beruflichen Standbein in einem ökologischen Planungsbüro, während er sich als Schriftsteller mit dem Spielbein für „klimarelevante Desaster“ interessiert. Mit dieser Beidbeinigkeit ist auch der Held des Romans „Flirren“ ausgestattet, der von sich sagt, er sei „doppelt gefordert als schreibender Wissenschaftler und forschender Literat“. (63) Der Erkenntnisgewinn aus wissenschaftlichen Versuchsreihen und assoziativen Fiktionen ist wohl auch das geheime Thema des Romans.

erwin uhrmann, zeitalter ohne BedürfnisseWenn keine Bedürfnisse mehr da sind, hat man sie entweder selbst erfüllt, oder sie sind von sich aus abgehauen und haben die bisherigen Bedürfnisträger entleert zurückgelassen.

Erwin Uhrmann nimmt gleich vom Titel an die Leser in die Pflicht. Er stellt zwar ein Ambiente für Utopie und Dystopie zur Verfügung, die Text-User aber müssen je nach ihren Bedürfnissen sich den Roman selbst ausmalen. Das ist übrigens bei allen Romanen üblich, die nicht ein vorinstalliertes Klischee abhandeln.

„Zeitalter ohne Bedürfnisse“ lässt also ein paar Figuren auftreten, die wie beim „Mensch-ärgere-dich-nicht“ nach einer selbst-gewürfelten Zahl ein paar Schritte machen, ehe sie wieder vom Feld geworfen werden. Das Spielfeld selbst ist seltsam allgemein ins Auge gefasst als eine Landkarte ohne irgendwelche Ortsangaben. Ab und zu fallen geographische Begriffe wie Himmelsrichtungen, beispielsweise Wien, Polen oder Meer, es ist jedoch den Lesern überlassen, wie sehr sie diese Angaben mit eigenen Bildern unterlegen.

christian futscher, der erbsenjongleurErbsenzählen und die Prinzessin auf der Erbse – der Erbsenjongleur ist als Märchenerzähler bestens eingekleidet mit Stoff.

Christian Futscher tritt mit seinen gut vierzig Kleinodien als Märchenerzähler, Text-Wirt, Flaneur und pingelig dahin werkelnder Schriftsteller auf. Seine Miniaturen widmen sich allen erdenklichen Genres und werden dementsprechend kurz angebunden abgehandelt.

„Die letzte Seite eines Tagebuchs // Heute bin ich leider gestorben. Jetzt geht gar nichts mehr.“ (53)

roger van de velde, knisternde schädelIn der Literatur werden Geschichten manchmal so heiß, dass man sie nur erzählen kann, wenn man gleichzeitig die Kühlelemente beschreibt, die zu ihrem Schutz installiert worden sind. „Knisternde Schädel“ sind zwanzig kleine Geschichten, die unter Überdruck in der Psychiatrie entstanden sind. Das Knistern im Kopfinnern diverser Helden deutet darauf hin, dass darin andere atmosphärische Drücke herrschen als in der sogenannten normalen Welt.

Der Journalist und Schriftsteller Roger Van de Velde wird zwangsweise und ungeplant zu einem Medium, das die Druckverhältnisse in den Schädeln von Psychiatrie-Insassen als Geschichten wiedergibt und über seine Frau in Zigarettenschachteln nach draußen schmuggeln lässt, wo angeblich die Realität vorherrscht.

bartholomäus holzhauser, die geheimen visionen des bartholomäus holzhauserBei der Beschäftigung mit „heimatlicher Chronik“ treten unter dem Schutt von Trivia immer wieder kleine Zeitkapseln zu Tage, worin dokumentiert ist, dass ein großer Geist an einem kleinen Ort gewohnt hat und darin vergessen worden ist.

Hannes Hofinger geht mit seinem bodenständigen Verlag konsequent die historischen Substanzen seiner Gemeinde St. Johann durch und wird fündig. Ab und zu befreit er einen Fund vom Staub der Zeit, lässt ihn historisch begutachten und veröffentlicht das Ganze als kleines Faksimile.

Von dieser bibliothekarischen Naturneugierde beseelt hat er kürzlich unter der fachlichen Kommentierung von Peter Fischer die „geheimen Visionen des Bartholomäus Holzhauser“ herausgebracht.