Ilse Kilic, Das Schlaue vom Himmel
Vielleicht ist Literatur eine flüchtige Art von Materie, die sich manchmal um eine Lebensweisheit versammelt, die nach deren Verzehr wieder verschwindet.
Ilse Kilic ist mit ihrer blau-hörig machenden Fügung vom „Schalauen vom Himmel“ mit einer Versuchsunordnung unterwegs. Ihre Bücher sind eine Art Vorlesung für nicht planbare Überlegungen, die an einer Weiche aus einem Hauptstrang entspringen oder wie streunende Texte durch die Regale ziehen. „Weiche“ und „streunende Texte“ werden ermunternd im programmatischen Vorspann erklärt, der stracks in die Versuchsunordnung hineinführt.
In diesem literarisch getrimmten Versuch sind als Grundanker scheinbar fixe Geschehnisse erwähnt, wenn etwa die Autorin Kilic handfest stürzt, was Seiten später ein Zitat auslöst. Umgekehrt wird ihr Lebenspartner Fritz Widhalm in den Text mit einer fixen Aussage hineingezogen, wonach „Revolutionen sich bemühen sollten, nett zu sein“. (37)
Auf diese biographischen Stützdaten sind diverse Versuchsmodelle aufgebaut mit der Absicht, wenn schon nicht die Verbesserung der Welt einzuleiten, so zumindest ein Programm dafür zu entwickeln.
Zu Beginn gibt es wie bei allen seriösen kultur- und Bildungseinrichtungen ein Bewerbungsschreiben. Potentiell mitwirkende Figuren müssen sich mit Unterlagen bewerben, eine nennt sich Suzie Traktor und tritt als literarische Beraterin auf (23). Eine andere legt Gutachten über die Angst vor, die vor allem dadurch ausgelöst worden ist, dass sie sich als Embryo wie ein Gurkerl in einem Gurkenglas gefühlt hat. Die Liste der potentiellen Figuren gleicht durchaus einer Bücher- oder Getränkeliste, die durch Streichungen und Umgruppierungen ajour gehalten werden. Aus den möglichen Konstellationen und Interaktionen ergibt sich ein sozio-dynamisches Spannungsfeld, wie man es in alter Literatur unter Familienaufstellung kennt.
Über diese Plots, Spannungsfelder und Persönlichkeitsstrukturen wird in einem großen Schriftbogen die These gelegt, wonach es ohne Theorie keine Revolution gibt. Dieser Wunsch nach einer „Theorie von Allem“ geht auf ein Gedicht von Andreas Pavlic zurück, das vollkommen zitiert und interpretiert wird. (34)
Während nun die Figuren aufeinander losgelassen werden, entstehen wie in einem Labor verschieden gefährliche Versuchsereignisse, die sich mal als Solo einer entgleisten Person zeigen, dann wieder als eingeschmolzener Händedruck zwischen zwei Hauptdarstellerinnen, die ihr Dilemma nur durch eine Zeichnung ausdrücken können.
Ein gefährliches Kapitel geht der Frage nach, wie man Kleinlebewesen in den Literaturbetrieb einbauen könnte. Es handelt nämlich von Bakterien, die es gibt, und solchen, die es geben könnte. Großer Wert wie bei allen Versuchsunordnungen wird auf ein ungeordnetes Ende gelegt. In dreizehn erdichteten Schlussvarianten (133) kommt alles ans Tageslicht, womit man ein Projekt beenden könnte.
Für ein kluges Ende braucht es meist einen klugen Begriff, um die Relevanz der Versuchsreihe gegenüber Außenstehenden abzusichern. Zumindest der Begriff für das Ende sollte passen, wenn schon das Ende nicht passt.
Die Rede ist von Utopia Phantastica, Utopia Dystopia, Dystopia Grave in diversen Kurz- und Langfassungen. Aber auch ein Haiku, eine Hommage oder Ballade könnten das Unterfangen über „das Schlaue vom Himmel“ bestens abfedern und in Realität umwandeln. Eine kryptische oder logische Variante zur Versuchsunordnung ist nicht ausgeschlossen.
Die liebste Form, das ganze Buch zu beenden, ist gleichermaßen vor Personal, Autorin und Leserschaft in der sogenannten „dreizehnten Schlussvariante“ zusammengefasst:
„Die Leserinnen und Leser klappen das Buch zu. / Alle Figuren und Gedanken, seien sie in diesem Buch enthalten oder durch die Lektüre entstanden, schlüpfen in einen Tragebeutel, und werden von einer der Personen in oder außerhalb dieses Buches an einen sicheren und freundlichen Ort verbracht, wo sie sich in Ruhe weiterentwickeln oder von all den Strapazen des Textes oder der Lektüre ausruhen können.“ (142)
Das Schlaue vom Himmel ruht in einem Beutel, bereit, bei nächster Gelegenheit daraus hervorzuschlüpfen.
Ilse Kilic, Das Schlaue vom Himmel. Eine Versuchsunordnung
Klagenfurt: Ritter Verlag 2023, 150 Seiten, 19,00 €, ISBN 978-3-85415-661-1
Weiterführende Links:
Ritter Verlag: Ilse Kilic, Das Schlaue vom Himmel
Wikipedia: Ilse Kilic
Helmuth Schönauer, 22-05-2024