Sun Longji, Das ummauerte Ich
„Das ummauerte Ich“ lautet der Kerntitel dieses Buches, das das Psychogramm der chinesischen Denk- und Verhaltensstruktur zu entschlüsseln sucht. Es befasst sich – wie der Untertitel verdeutlicht – mit der „Tiefenstruktur der chinesischen Mentalität“. Der Begriff der Tiefenstruktur kennzeichnet die Entwicklung eines Individuums sowie die (unbewusste) Verinnerlichung sozialer Normen und Regeln durch eine Person bzw. eine Gruppe, die das Denken und Verhalten steuern.“ (S. 12)
Sun analysiert die Verhaltensweisen und die chinesische Mentalität aus einer tiefenpsychologisch geprägten Perspektive, die stark von Sigmund Freud beeinflusst ist. Dabei weist er der Bedeutung der „Mauer“ als Metapher für die Auseinandersetzung mit dem chinesischen Verhalten im politischen und sozialen Leben in China eine zentrale Rolle zu.
Falsch ist immer möglich. – Diese Nebenwirkung einer „Chronik der kleinen Gedanken“ ist auf der Hinterseite des Buchumschlags abgedruckt, während einem vorne zwei übereinandergelegte Augen entgegen zwinkern, offensichtlich als erhellender Tandem-Blick des Autorenpaars eingefangen. Ilse Kilic und Fritz Widhalm stellen sich mit ihren „Fußnoten zur Weltgeschichte“ zwischen alle gängigen Genres, das Thema ist ihre eigene Biographie im Lichte des Weltgeschehens.
Üblicherweise entstehen Gedichte rund um das lyrische Ich herum. Was aber nun, wenn dieses Ich sich aus dem Rennen nimmt, verschüttet wird oder sonst wie verlorengeht? Und was lässt sich über das lyrische Vakuum sagen, das bei Gedichten „ohne ich“ entsteht?
Am Morgen wacht der Erzähler auf wie der Käfer in der Verwandlung von Franz Kafka und stellt fest, dass sein Körper fünfzig Jahresringe hat. Heute sollen Geburtstagsfeiern losgehen, aber der Held ist wie gelähmt von seinem eigenen Leben und bleibt regungslos liegen, während sein Gehirn fünfzig Jahre abarbeitet. Klaus Ebner findet einen makabren Zugang, ein halbes Jahrhundert „Eigenleben“ als historisches Gesellschaftsgemälde gespiegelt im kleinen Einzelkopf originär darzustellen.
In der Nacht sind alle Katzen grau, und auch ihre Falten sieht man nicht. Ilse Krüger ist eine Meisterin der Ironie, wenn sie plumpe Sprichwörter, verrutschte Selfies, und falsche Binsenweisheiten durch die Lebensrealität zurechtrückt. Ihre Heldinnen kämpfen mit Vorurteilen und falschen Prophezeiungen, die über sie im Umlauf sind. Oft sind natürlich die Männer der Grund für den Dissens zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Aber bei genauerem Hinhören stellt sich bei Männern und Frauen eine ähnliche Unwucht heraus, die ihre Bilder zum Trudeln bringen.
Manchmal lässt es das literarische Glück zu, dass sich ein ganzes Land über jene Literatur freuen darf, die es mit einem Stipendium angeregt hat. Isabella Krainer hätte auch ohne Großes Tiroler Literaturstipendium den wundersamen Gedichtband „Heul doch!“ geschaffen, durch die offizielle Auslobung für 2023/24 fieberte eine kleine literarische Schar freilich dem Band entgegen, der in einem Tiroler Verlag erscheinen durfte.
Poetikvorlesungen gelten gemeinhin als sozial hochrangige Veranstaltungen, in denen das dichtende Individuum einem akademischen Publikum die eigene Schreibtheorie anhand des eigenen Werkes vorträgt. Das Genre erweist sich als Kippmedium zwischen wissenschaftlicher Analyse und subjektiver Fiktion. Der Begriff wurde ursprünglich aus bilanztechnischen Gründen verwendet, mit dieser Bezeichnung nämlich lässt sich eine Veranstaltung im universitären Betrieb unkompliziert abrechnen.
„Geschichte erzählt als Gutenachtgeschichte für Erwachsene“ – mit dieser frischen Leseempfehlung ermuntern einander die Fans von Judith Taschler, ihre neue Familiensaga zu lesen.
Der Ausblick ist gebremst optimistisch, wenn sich jemand nur kurz in der Zukunft aufhalten möchte. Die „fünf Minuten in der Zukunft“ erinnern an das klassische „nach zwölf“, wo alles schon zu spät ist. Andererseits sind diese paar Minuten höchstens eine Art Probe-Abo, das man sich kurz anschaut, ohne mit voller Kraft in die Zukunft zu schreiten.
Aufregende Vorstellung: Franz Kafka hat 1924 seinen Tod nur vorgetäuscht, ist untergetaucht, hat die Nazis überlebt und erscheint nach 1945 in Meran, wo er im Apollo-Kino Karten abreißt. Als Qualifikation für diese Tätigkeit dient ihm die eigene Erzählung vom Türhüter, welcher bekanntlich streng darauf achtet, dass niemand Falscher das Gebäude betritt.