Beziehung

Selma Mahlknecht, Schaukler

h.schoenauer - 28.04.2025

Selma Mahlknecht, SchauklerIn der Prokulus-Kirche bei Naturns sitzt eine Figur auf einem gemalten Seil und schaukelt. Sie macht das so kühn und jenseits aller physikalischen Gepflogenheiten, dass die Menschen ihre Reise abbrechen und nachschauen, was es mit diesem Fresko aus alter Zeit auf sich hat. – Ist es überhaupt Kunst, was es da zu bestaunen gilt? Ein Kind sagt dazu verblüffend klar: Es ist ein Engel!

Selma Mahlknecht setzt mit ihrem Roman „Schaukler“ ein aufregendes Zeichen, wie man als kleiner Punkt auf der irdischen Weltkarte mit der großen Geschichte und dem Lauf der Welt umgehen könnte. Ihr Roman zelebriert hundert Jahre frische Entdeckung der mittelalterlichen Fresken rund um den Schaukler in Naturns 1923.

Rudolf Kraus, versvermessung

h.schoenauer - 25.04.2025

Rudolf Kraus, versvermessungLyrik wird gespeist aus einem Befinden, das als Ur-Ozean bezeichnet wird. Der Essayist Alexander Kluge vermutet von diesem Urzustand, dass er den Subjekten eine stabile Körpertemperatur vermittelt, die ungefähr bei 37 Grad liegt.

Rudolf Kraus rückt diesem poetischen Raum mit einer „Versvermessung“ auf den Leib. Dabei macht er sich die Fähigkeit von Lyrik zu Nutze, wonach diese gleichzeitig als Gesang, arithmetische Operation oder rhythmische Aktion auftreten kann.

Ein Blick auf die Gliederung dieser poetischen Masse lässt einen an einen „lyrischen Auszählreim“ denken:

Der Tod, Der Sterbinator – Ein Stehkalender

Andreas Markt-Huter - 14.04.2025

der tod, der sterbinatorMit zunehmendem Alter wird der Schreibtisch der Boomer und Beamten immer aufgeräumter. Letztlich bleibt nur ein Stehkalender übrig, der zu Ende geblättert ist.

Das Kunstprojekt „Sterbinator“ ist so ein kunstvoller Nachdenkimpuls, der das Memento mori als ein sinnliches Vergnügen angeht. In der Literatur gelten für gewöhnlich drei Kanäle als zielführend, mit dem Tod irgendwie klarzukommen, ohne gleich in eine Depression zu verfallen.

Gerard Kanduth, lichtbilanz

h.schoenauer - 09.04.2025

Gerard Kanduth, lichtbilanzIn der Lyrik und in der Fotografie kommt es vor allem auf das Licht an. Beim ersten Einsetzen der Dämmerung lässt sich eine erste Bilanz ziehen: Wie war das Licht des Tages und welche Bilder hat es zugelassen?

Gerard Kanduth zieht mit seinem Gedicht- und Bilderband eine Lichtbilanz zum Tag, zum Aufflackern der Jahreszeit und wohl auch zum Abklingen-lassen der Alltagsrasanz. „an der schwelle / zwischen tag / und nacht / ziehst du / lichtbilanz // was und wieviel / hast du / gegeben / bekommen / genommen / gewonnen / verworfen / verloren // ist dein blick / klarer oder trüber / geworden“ (91)

Marie Theres Foidl, Erinnerungen der Marie Theres Foidl

h.schoenauer - 04.04.2025

Marie Theres Foidl, Erinnerungen der Marie Theres FoidlIm Jahr 1951 sitzt eine Mutter in St. Johann vor einem leeren Papierhaufen und beginnt mit dem Aufschreiben von Erinnerungen für ihren Sohn. Die Schreiberin ist Marie Theres Foidl vom Lacknerhof. Sie ist aus Deutschland zugezogen und will ihrem Sohn erklären, dass man auch eine interessante Lebensgeschichte haben kann, wenn man nicht aus Tirol stammt.

Bei autobiographischen Aufzeichnungen ist eine wesentliche Frage entscheidend: Was wird wie eingegrenzt und was wird weggelassen? Die Geschichte der Lacknerhofbäuerin spielt im Saarland, Ruhrgebiet und im Bonner Raum von 1900 herauf bis 1932. Sie endet mit einer vagen Andeutung, dass die Erzählerin in Innsbruck ihren Mann kennengelernt hat, den späteren Vater des angesprochenen Sohnes.

C. H. Huber, das schicksal ein schwarzes krokodil

h.schoenauer - 02.04.2025

C. H. Huber, das schicksal ein schwarzes krokodilDas Krokodil frisst dem Kasperl aus der Hand, wenn ängstliche Kinder zusehen. Außerhalb der Bühne frisst es freilich alles, woran Menschen hängen – die entlegene Kindheit, den hübschen Körper, die geliebten Angehörigen.

C. H. Huber umkreist in fünf Zyklen die Areale der Verluste, in die jeder Mensch während des Lebens hineingetragen wird. Mit straffen Überschriften werden Trauer und Melancholie auf den Punkt gebracht: Check | schlaf & schlaf | übers jahr | sommer . dennoch | schwarzes krokodil oder requiem für eine tochter.

Kurt Leutgeb, Berlin & Paris

h.schoenauer - 26.03.2025

 Kurt Leutgeb, Berlin und ParisSeit der Literaturmarkt die einzelnen Werke verwechselbar macht und im Sinne der KI einheitliche Texte einfordert, müssen die letzten ums Lesen und Schreiben Kämpfenden neue Publikationsformen entwickeln. Der Sisyphus Verlag leistet sich dabei zwei Experimente. Im Falle von Ludwig Roman Fleischer werden etwa seine Werke in eine Themen-Trommel geschüttet und neu gemischt und verdichtet. Im Falle von Kurt Leutgeb werden unter dem Aspekt einer Gesamtausgabe mehrere Stufen der Edition eines Werks vorgestellt, dabei wird die Rezeptionsgeschichte wesentlicher Teil der Erzählung.

Kurt Leutgeb stellt sein Projekt „Berlin & Paris“ zweimal vor. Dadurch wird offengelegt, wie sich der gleiche Stoff einmal als Roman und ein andermal als Novelle an das Lesepublikum heranschleicht. In beiden Fällen ist die Auflage überschaubar, sodass man als Autor zu jedem Genre quasi die Gesamtzahl der Lesenden im Auge behalten kann.

Hannes Vyoral, frühstück wie immer – alltagsgedichte

h.schoenauer - 24.03.2025

Hannes Vyoral, frühstück wie immerGedichte wühlen uns auf, wenn sie uns in flagranti im Alltag erwischen. Sie erwärmen uns, wenn sie Ordnung ins Tagwerk bringen, sie schärfen unsere Sinne, wenn sie uns die beiläufige Petitesse als Teil eines Weltdramas zeigen.

Hannes Vyoral nimmt das „frühstück wie immer“ als Anlass, den Tag aufs Neue anzugehen. Die Aktionen rund ums Morgenritual des Aufstehens liefern zuerst nur Halbsätze, die sich im lyrischen Ich Gehör verschaffen, allmählich entwickelt sich aber ein komplettes Frühstücksbild mit Zähneputzen, Marmorkuchen und dem Entzünden neuer Gedanken, die wie Vögel durchs Gehirn huschen. Wenn dann das erste Papier ausgelegt für das Scheiben, kann der Alltag des Dichters beginnen. Der Begriff „Alltagsgedicht“ beschreibt sowohl die Entstehung des Gedichts als auch die Transformation alltäglicher Denkmasse in Lyrik.

Andreas Niedermann, Das Buch Maloch

h.schoenauer - 19.03.2025

Andreas Niedermann, Das Buch MalochAndreas Niedermann arbeitet sich mit seinem Erzählband „Das Buch Maloch“ an allem ab, was direkt oder indirekt mit Arbeit zu tun hat. Mit diesem Unterfangen gleicht er dem großen soziologischen Projekt „Geschichte und Eigensinn“, worin Alexander Kluge und Oskar Negt 1981 eine ganze Generation von Arbeitern und Denkern in Atem gehalten haben.

Das Buch Maloch geht als Erzählungssammlung von einer Idealbiographie aus, worin ein paradigmatischer Ich-Erzähler so alles durchlebt, was sich durch ständigen Berufswechsel, durch Abgrasen prekärer Arbeitsfelder und durch Vermeidungsstrategien von Arbeit erleben lässt. Dieser chronologisch erzählende Arbeitende durchlebt quasi in 32 Stationen das in Anwendung, was im fetten „Geschichte und Eigensinn“ auf über tausend Seiten gezeichnet und geschrieben steht.

Karl Iro Goldblat, In die Irre

h.schoenauer - 12.03.2025

karl iro goldblat, in die irreWenn man sich einmal aus Not in einen Käfigmenschen verwandelt hat, kann man dann von Amtswegen resozialisiert werden?

„In die Irre“ nennt Karl Iro Goldblat seine real-groteske Erzählung von einem Außenseiter, der statt erwachsen zu werden sich zu einem Baby verwandelt hat. Mit 13 Jahren setzt der Icherzähler, der erst am Schluss beiläufig seines Namens gewahr wird, den finalen Akt unter seine desaströse Erziehung, indem er alles voll kotet und vom Amt abgeholt wird.