Das föderalistische System Österreichs bringt es mit sich, dass in der Literatur die Bundesländer schon seit Jahren in einem heimlichen Wettbewerb stehen, wer den groteskesten „Bundesländerroman“ zustande bringt. Dabei ist der Bundesländerroman zu einem eigenen Genre geworden, in dem sich ähnlich wie im Landkrimi eine Weltdramaturgie mit regionalen Absonderlichkeiten schmückt.
Was für die Steiermark Reinhard P. Grubers „Hödelmoser“, für Tirol „Der Schluiferer“, für Kärnten Werner Koflers „Guggile“ ist für Oberösterreich das gleichnamige Heimatbuch von Franzobel, freilich scharf mit fünffachem R geschrieben.
Der furchterregend mit rollendem R ausgesprochene Begriff Oberösterrrrreich erinnert an Kasernenton, Aufmarsch und salutierender Kommunikation, wenn vor dem Bundesland stillgestanden wird, ehe es mit Tamtam der Blasmusik weitergeht. Nicht umsonst ist am Cover ein Gebläse-Instrument abgebildet, und die Kernaussage des Hymne über die Blasmusik lautet:
„Unser Musi wann i sog / is der Menschheit größte Plog / Da gibts den Dirren und den Fettn / Da ane spielt Oboe / Da andere Klarinetten“ (54)
Neben der Blasmusik werden in herzergreifender Lyrik auch noch andere Wesenszüge des Oberösterreichertums gewürdigt. Ein schwermütiger Kurz-Song nennt sich „All you need is Laff.“ Dabei lässt sich das Laff kaum übersetzen, es hat freilich etwas Beschissenes, Schlaffes, Fades oder Geschmackloses an sich.
Das Selbstbewusstsein bahnt sich einen eigenen Reim durch die Landschaft mit dem Gedicht „I bin“. So nebenher wird im Sinne einer Litanei besungen, was das Landes-Ich alles ist. Ein Einkaufszentrum, ein Kreisverkehr, ein Heimwerkerparadies, ein Stift im Nebel, ein Dorf ohne Wirtshaus, ein See ohne Zugang, ein Borkenkäfer im Wald, ein abgebrannter Stadl und ein Knödel im Bratl. (48)
In einer Dauerschleife des Zitierens werden die wahren Machtverhältnisse im Land angesprochen. Klar ist nur, dass der Urbefehl männlich gewesen sein muss, vielleicht geht er sogar auf Gott zurück, und seither wird er immer weiter zitiert mit der Floskel: „hat er gsagt, hat er gsagt“.
Diese elementaren Heimatgedichte sollte man sowohl an Feiertagen als auch quer durch die Woche griffbereit auf der Zunge haben, um jedem heimatlichen Anlass sofort im passenden Sprachkleid kontern zu können.
Rund um die Gedichte sind ein grotesker Blues vorne und zwei politische Essays hinten drapiert. Dadurch entsteht ein kompaktes Bild von jenem Land, das sich aus vier Vierteln (Inn-, Hausruck-, Traun- und Mühl-) und einem halben Salzkammergut zusammensetzt. Und dessen Unverwechselbarkeit fußt auf Raritäten wie der Hauptstraße der Hauptstadt Linz, die romantisch Landstraße heißt.
Die Einstimmung in das originäre Heimatgefühl der Oberösterreicher liefert ein Blues namens Bad Hall. Dieser Ort wird wie alle Bad-Bezeichnungen zu einem düsteren Szenarium, wenn man es wörtlich als „schlecht“ übersetzt. Eine andere gelungene Heimatübersetzung stammt ebenfalls aus dem Englischen, wenn „most people“ gelungen in Most-Leute übertragen wird. Und Most wird in allen Säuregraden zu jedem Anlass getrunken.
Im Blues wird ein Einheimischer wild, als er entdeckt, dass ihm jemand ein Schild mit Kaufabsicht auf den letzten Kirschbaum genagelt hat. Dieser Brett-Vandale ist als Nachgeburt angelegt, er bleibt stumm und Opfer eines Brauchs, wonach man die Nachgeburt eines Kindes unter einem Baum begräbt, damit es bodenständig wird.
Im Laufe eines Wutausbruchs stellt sich heraus, dass die Nachgeburt das Haus kaufen will, weil mittlerweile alles unter dem Vorwand der Heimat aufgekauft wird, was nicht niet und nagelfest ist.
Die Nachgeburt muss sich still und stumm anhören, wie Dialekt, Sprache, Bräuche und Selbstbewusstsein verkommen sind zu einem landesweiten Kahlschlag von Bäumen, unter denen nicht einmal die sprichwörtliche Nachgeburt eine Ruhe hat.
In zwei Kurzessays wird schließlich am Beispiel der von den Nazis entworfenen Industrieansiedlung Lenzing und des allenthalben hochgehaltenen Mostes die Hinterseite von Schlüsselwörtern bilanziert. Die Fabrikanlage stößt Zahlen aus, welche die Wirtschaft hochhalten und die Umwelt zerstören, und der Most zerfrisst die Seelen der Konsumenten, wenn sie ihren Durst nach Leben gelöscht haben.
„Die Leute sind wie Most – süß und hinterfotzig.“ (86)
Franzobel, Oberösterrrrreich. Ein Heimatbuch, Monolog, Essays, Dialektgedichte
Klagenfurt: Sisyphus Verlag 2025, 92 Seiten, 11,80 €, ISBN 978-3-903125-95-7
Weiterführende Links:
Sisyphus Verlag: Franzobel, Oberösterrrrreich. Ein Heimatbuch
Wikipedia: Franzobel
Helmuth Schönauer, 30-06-2025