Welches Werkzeug passt zu welchem Kunstwerk? – Wenn Literatur als Kunstwerk die Gegenwart erhellen soll, braucht es auch einen Blick auf das Genre, das als Medium diese Gegenwart betreut.
Simon Konttas blickt mit seinen 21 Sonetten einerseits auf ein unerschöpfliches Thema wie die „Schickung“, andererseits gilt sein Augenmerk dem Genre Sonett, ob es auch noch verlässlich ist, um uns Entscheidendes zu erzählen.
Der Ausdruck Schickung suggeriert philosophisch-theologische Kompetenz und wird meist zu besonderen Anlässen verwendet, wenn Probleme des Alltags für eine tiefer gehende Einschätzung anstehen. Die Zeitlosigkeit des Begriffs Schickung deckt sich mit jenem des Sonetts, beide sind im Zweifelsfall immun gegen das Alltagsgeschäft.
Simon Konttas erlaubt sich einen genialen Gedankenkniff, indem er das Hehre von Sonett und Schickung dem trivialen Themenset einer unbedarften gewöhnlichen Seele gegenüberstellt. ‒ Die erste Reaktion auf diese fallweise als Travestie angelegte Textkomposition ist Verblüffung.
Die Themen sind mit bestimmtem Artikel versehen aufgefädelt wie die Inhaltsangabe in einem Jahresheft Robert Walsers mit Aufsätzen und Abhandlungen. „Der Abtrünnige / Der Unterdrücker / Die junge hübsche Frau / Der Ex-Liebhaber / Die Treue / Der Asket / Die Ex-Frau“ zeigen Menschen in markanten Schwarz-Weiß-Situationen, denen sie mit einer kantigen Typologie gegenübertreten.
Angesprochen sind Holzschnittartige Züge, die sich perfekt in die Maserung des Sonetts einfügen.
In Zeiten der Genderdiskussion sollte bei der Analyse auch der Gender-Quotient Erwähnung finden. Von den 21 Sonetten sind demnach 16 männlich und 5 weiblich. Für die Typologie spielt freilich das Geschlecht eine untergeordnete Rolle, denn alle Heldinnen und Helden werden von der „Schickung“ heimgesucht.
„Die Auswanderin // Ich bin sehr jung in die Ehe gegangen, / bekam ein Kind. Er schlug uns; ließ mich scheiden. / Ich zog den Sohn auf, wir lebten sehr bescheiden. / Das war vor zwanzig Jahren, ziemlich langen. // Ich lebte ohne Männer und hatte kein Verlangen, / mich wieder in den Hochzeitsstaat zu kleiden, / doch dass der Fremde sich verliebte; war nicht zu vermeiden. / ich fühle mich jetzt wieder mal gefangen. // Mein Sohn zog aus, zu mir zog da der Mann, / in dessen Land ich, frei zu sein, stets strebte / (eine längere Geschichte: unser Land ist korrupt, // es gibt keine Arbeit und so weiter). Es war sehr abrupt, / dass ich mich erneut als die Schwächere erlebte. / Ich wollt’ doch was verändern! Ob ich’s jetzt noch kann?“ (47)
Eine Faustregel für das Lesen von Sonetten besagt, dass man sie zwischen durch zum Klingen bringen sollte, indem man sie laut liest. Dadurch entwickelt sich erst die Verschränkung von Rhythmus und Klang, wobei ein beinahe musikalisches Stück entsteht, worin die semantische Botschaft des Textes durchaus hinter die Melodie zurücktritt.
Den Schickungen ist ein theatralischer Ton untergelegt, wenn etwa das Schicksal der Auswanderin in eine Regieanweisung für einen klärenden inneren Monolog mündet.
Das Inhaltsverzeichnis erweist sich als Über-Sonett, indem aus den einzelnen Titeln ein gesellschaftlicher Überbau entsteht, quasi eine Beschreibung des Gemeinwesens anhand markanter Einzelschicksale.
Dabei werden Phänomene wie Hoffnung, Hass, Treue oder Unterdrückung den jeweiligen Personen als erste Anamnese auf den Leib gedrückt, wodurch die Schicksalsträger die Chance bekommen, mit dieser Punzierung fertig zu werden. Wer ein fixes Krankenbild vor Augen hat, tut sich leichter, der Krankheit zu entkommen, heißt es in der Volksmedizin.
Simon Konttas analysiert mit dem Sonett-Raster nicht nur gesellschaftliche Ereignisse, in einem zweiten Durchgang leitet er daraus auch Bausteine für eine Kunsttheorie ab, indem die Dinge sich allmählich zum Besseren wenden, wenn sie richtig angesprochen werden.
„Der Künstler // […] // Der Geist weiß dies alles, das Fleisch nur vergisst. / Zweifel und Hohn, die sind immer zur Stelle. / Doch die Hoffnung stirbt nie, das Leben sei gut.“ (49)
Wege zur Schickung sind vielleicht heilpädagogische Vorschläge, wie man sich auf das Unausweichliche einen rettenden Reim machen könnte.
Simon Konttas, Wege der Schickung. 21 Sonette
Wien: Edition Melos 2025, 56 Seiten, 26,00 €, ISBN 978-3-9505459-9-9
Weiterführende Links:
Edition Melos: Simon Konttas, Wege der Schickung
Wikipedia: Simon Konttas
Helmuth Schönauer, 29-05-2025