Loop ist beim ersten Hinhören ein Begriff, bei dem es drunter und drüber geht wie in der sprichwörtlichen Achterbahn. Tatsächlich gibt es eine Achterbahn in Belgien mit dem Namen Loop Garou. Im Allgemeinen bedeutet der Begriff freilich Werwolf, was genauso magisch mehrdeutig ist wie Loop.
Stefan Schmitzer greift für seine Textsammlung auf zwei antike Verfahrensweisen zurück, die Sicht auf die Welt zu erweitern. Es sind dies die Genres Invokation, was man mit Anrufung übersetzen könnte, und Katabasis, was wörtlich Hinabsteigung bedeutet.
In der Einstimmung werden die drei Grundelemente für das Hineinrufen genannt: 1. Namen des Bittstellers, der als lyrisches Ich auftritt, 2. Namen der Gottheit, in der Hauptsache das Bundesministerium für Kunst Kultur öffentlicher Dienst und Sport, 3. Beschreibung des erbetenen Wunsches.
Wer einmal einen Text in die Nähe der österreichischen Beamtenschaft gebracht hat, wird wissen, dass nach dieser antik anmutenden Zeremonie die Förder-Ansuchen der Republik zu geschehen haben.
In einem Interview berichtet der Autor vom auslösenden Element für die Methode „loop garou“. Anlässlich des Überfalls Russlands auf die Ukraine gingen am ganzen Kontinent die Lichter für den intellektuellen Diskurs aus. Erzählmethoden wie Essay oder akademische Abhandlung waren über Nacht obsolet. Unter der Fassungslosigkeit machte sich jäh ein kindlicher Wunsch nach einer unversehrten Welt breit, der allenthalben als Invokation an verschollene Götter gerichtet wurde.
Die gut zwanzig Invokations-Texte kommen freilich unscheinbar im Kleid eines fragenden Essays daher, stellen ein Thema vor und analysieren es im klassischen Dreischritt von These, Antithese, Hypothese, entwickeln aber dabei einen schrillen Ton, der entsteht, wenn das lyrische Ich oder andere innere Stimmen von einem Hauch der Hysterie gestreift werden.
Die Texte sind aufgeregte Stimmungen, die unbekannten Adressaten vorgetragen werden, die es dann richten sollen, oder zumindest ein Protokoll aufnehmen, wie es oft an Polizeiinspektionen mit dem Zweifingersystem geschieht.
Die Themen sind zufällig, wie ja auch die Erregung oft auf Zufälligkeiten zurückgeht. Einmal zur Sprache gebracht ist es zudem egal, warum das Thema in Erscheinung getreten ist.
So tritt die Zivilisation in verschiedenen Härtegraden der Entwicklung vor allerhand Galaxien, deren Existenz nicht gesichert ist. Aber Anrufungen sind nicht auf Antworten aus, weshalb sie durchaus sinnvoll im Weltall verglühen können.
„Bist du schon Raumschiff mein Walfisch zwischen den Strömungen zwischen den Gravitationen […] bist du schon glitzerndes Plankton im Maul […] bist schon Bewegung Bewegung Bewegung […] der Mensch was here“. (13)
Grundton jeglicher Anrufung ist die Poesie. Wenn schon die Fakten nicht greifen, so berühren die Stimmungen der Worte, mit denen sie ins Leere gehen.
In diesem Lichte erscheint etwa Dr. Freund (17), wenn er als angerufene Instanz gütig Probleme zur Kenntnis nimmt, die Institution Kleinfamilie pudelt sich als Lösung auf (28), eine Parade von Oldtimer-Traktoren (37) nimmt die Wünsche von Nostalgikern entgegen, die diese an die eigene Kindheit gerichtet haben.
In die Achterbahn der Beschwörungsformeln sind mathematisch klar strukturiert Graphiken eingelagert, die im Sinne eines „zaubermächtigen Quadrats“ gegen diverse Leiden eingesetzt werden können. Gegen Gicht, Bandwürmer, Hagelschäden, Angst bei evidentem Ichverlust, für wohlwollende Obrigkeit und gegen betrügerische Handwerker, gegen Schädlingsbefall und Datenverlust – wahrscheinlich genügt bereits das Abscannen der Quadrate im Buch, um einen Zustand zwischen Invokation und Katabasis in Gang zu setzen.
Die Quadrate dienen im Buch als Brücke zwischen den beiden Textgattungen und leuchten hinein in die Welt der „Hinabstiege“ in denen es unter anderem um Pressefreiheit, Joseph Beuys und einen Wiedehopf geht. Alle Themen sind in einem personalisierten Wald angesiedelt, der als „Wald Heinz“ in der jüngeren Zeitgeschichte verankert ist. Ein politischer Hörfehler für Wald Heinz ist durchaus erwünscht.
Der Titel gebende Loop garou erfährt als Schlusstext eine Invokation, die nicht als Original vorgetragen ist sondern als Beschreibung.
Damit ist der Boden bereitet für die Archivierung der bisherigen Anrufungen, die sich durch Beschreibung katalogisieren lassen wie alles, was Bibliothekaren in die Hände fällt.
„Da steh ich / und kann zaubern / und Weltgeschichte / erzählt uns die Weltgeschichten / und am besten schreibst du’s auf / und tust es in ein Buch / und das Buch tust du in einen Wald Alter / und da lässt du es liegen / und dann kommt das Erschießungskommando / und das alles ist schon lang nicht mehr lustig aber / es kommt das Erschießungskommando / und macht einen Stoß tote Leute drauf / und dann einen Stoß Laub / und noch ein bissl mehr Laub / und dann später zehn Jahr oder hundert Jahr später / legt dann wieder jemand ein Buch drauf / wo er drin was aufgeschrieben hat […]“ (94)
Stefan Schmitzer, loop garou - Invokationen
Klagenfurt: Ritter Verlag 2024, 96 Seiten, 15,00 €, ISBN 978-3-85415-672-7
Weiterführende Links:
Ritter Verlag: Stefan Schmitzer, loop garou - Invokationen
Wikipedia: Stefan Schmitzer
Helmuth Schönauer, 09-07-2025