Das Krokodil frisst dem Kasperl aus der Hand, wenn ängstliche Kinder zusehen. Außerhalb der Bühne frisst es freilich alles, woran Menschen hängen – die entlegene Kindheit, den hübschen Körper, die geliebten Angehörigen.
C. H. Huber umkreist in fünf Zyklen die Areale der Verluste, in die jeder Mensch während des Lebens hineingetragen wird. Mit straffen Überschriften werden Trauer und Melancholie auf den Punkt gebracht: Check | schlaf & schlaf | übers jahr | sommer . dennoch | schwarzes krokodil oder requiem für eine tochter.
Die Gedichte sind etwa halbseitig groß und hängen wie Zapfen vom oberen Buchrand. An der breiten ersten Zeile klebt das Gedicht an einem unsichtbaren Anlass, der offensichtlich den Text zum Ausharzen gebracht hat. Die Zeilen an der Mittelachse ausgerichtet erwecken den Eindruck eines hängenden Vers-Baumes, der unten an der Spitze einen fetten Begriff als Unterschrift festhält.
Dieses Bodenwort ist oft eine unscheinbare Fügung, die das soeben Gesagte relativiert: „manchmal“, „vorerst“, „später“ sind semantische Verstrickungen an die Außenwelt des Gedichtes, der Leser erhält zudem einen Hinweis, das Poem nicht zu schnell abzulegen, sondern wirken zu lassen als Medikament oder Genussmittel.
Ab und zu sind auch „Nebenwirkungen“ des Gedichtes angegeben, Notwehr, Nachtgeburten, Herbst, Kriegsbeginn Ukraine. Manchmal steht auch eine Art Tagesmotto am Ende des Gedankenzapfens, selten eine Gebrauchsanweisung, dazu ist die angestimmte poetische Tonlage zu polyphon. Die erzählende Perspektive ist außerhalb des schreibenden Körpers angesiedelt, als ob die Eindrücke über das beobachtende Subjekt hinausschössen direkt hinein in das Gedicht.
Check (7) – In einer komplizierten Gesellschaft muss alles ständig überprüft werden, ob es noch kompatibel ist mit dem Sinn, der vor langer Zeit ausgestreut worden ist. Naheliegend ist der Körpercheck, der täglich misst, wie die Alterung voranschreitet. Aber auch das Jahr muss ständig neu vermessen werden, ob es den Verheißungen entspricht, die es zu Neujahr ausgegeben hat. Und selbst das Starten eines neuen Tages braucht Selbstanalyse und Selbstreflexion.
schlaf & schlaf (33) – Diese seltsame Verdoppelung wie in einem Firmenlogo weist darauf hin, dass der Schlaf nicht als Einzelperson, sondern quasi als Unternehmen auftritt. Wenn wir vom Schlaf zu Lebzeiten sprechen, meinen wir einen lebenslänglichen Zustand, der uns mehr oder weniger heftig nächtens aufsucht. In den Gedichten reitet jemand durch die Nacht, wehrt sich gegen einen Überfall von Illusionen, muss zum nächtlichen Boxkampf ausrücken oder überhaupt Dämonen tief im Innern der Seele bekämpfen. Und letztlich ist es der ewige Schlaf, der diese Kämpfe beendet.
Übers Jahr (49) – Was nun, fragt eine lyrische Seele, nachdem sie sich an alten Tagebüchern delektiert hat und ergriffen ist von den stillen Veränderungen im Laufe der Zeit. Die Winter sind anders gewesen, Marienkäfer gab es auch außerhalb von Bilderbüchern, der Bach hat sich von der schönsten Seite gezeigt, indem er am Ufer leckte, statt es zu überschwemmen. Die Körpergefühle haben sich früher an die Jahreszeiten gehalten, Frühlingserwachen war genauso erlaubt wie Brautwerbung unter einem Milch-verschmierten Himmel. Jetzt stehen Herbstdepressionen an, der Marktplatz von Innsbruck zeigt sich als Gerippe für eine Abluftanlage, hinter seinen Lüftungsstutzen gleicht die Literatur einem Strich in der Landschaft. Gleich fünfmal muss das Gedicht ansetzen, um diesen Strich hinzukriegen, dabei entstehen fünf Gedichte.
Sommer. Dennoch (79) – Den Depressionen zum Trotz bricht das Sommerpersonal aus sich selbst heraus, die einen im Schanigarten werden unterhalten vom Grummeln schwerer Maschinen, welche die Freiheit versprechen, die anderen fliehen an magische Orte auf Kreta, um dort jäh auf brutale Wahrheiten zu stoßen.
„Das Licht der Erotik ist erloschen, vielleicht für immer.“ (89)
Schwarzes Krokodil (89) – Das Requiem für eine Tochter ist in zwanzig Kapitel gegliedert, mit römischen Ziffern unterschrieben wie auf Grabsteinen. Aus der Trauer heraus nähert sich die Hinterbliebene der Vorausgegangenen. „stirbst / ihr jeden tag / ein wenig mehr entgegen / bereits ziemlich manifest / in dem was dich plagt.“ (107) Das schwarze Krokodil liegt seit Urzeiten im Gewässer der Trauer. Es hält die längste Zeit still und dann schnappt es zu und reißt dich in die Tiefe hinunter mitten ins Schwarze hinein.
C. H. Huber schaut den Gedichten scheinbar unbekümmert von außen zu, wie sie ihre Heldinnen belauern. Und wenn die Texte zuschnappen, bleibt die Hoffnung, dass die Sachen rund ums Altwerden, Sterben und Trauern halbwegs gut ausgehen. „Täglich sitzen Dämonen im Bett […] der graue Schwamm aus Vergangenheit lässt nicht mehr viel zu.“ (49)
C. H. Huber, das schicksal ein schwarzes krokodil. Lyrik
Innsbruck: Tiroler Autorinnen und Autoren Kooperative TAK 2025, 112 Seiten, 20,00 €, ISBN 978-3-900888-91-6
Weiterführende Links:
TAK Verlag: C. H. Huber, das schicksal ein schwarzes krokodil
Homepage: C. H. Huber
Helmuth Schönauer, 27-01-2025