Christoph Themessl, Im Vorhof zum Garten Eden

h.schoenauer - 22.10.2025

Christoph Themessl, Im Vorhof zum Garten EdenIm Idealfall treten die Genres Rezension und Kunstwerk gemeinsam auf. Etwas erscheint, und zeitlich nahe gibt es eine Reaktion darauf, was unter dem Überbegriff Rezension publiziert wird. Dieses Wechselspiel aus der analogen Zeit des Buchdrucks hat es im großen und ganzen auch ins digitale Zeitalter hineingeschafft, wo das Genre Rezension auf diversen Blogs, Foren und Plattformen beinahe unüberschaubar verstreut ist.

Im wesentlichen sind drei Kerne im Fruchtfleisch des Rezensionswesens verborgen.

a) Annotation
b) Essay
c) Selfie

In der Annotation werden die Buchdaten, Inhaltsangaben, Vertriebskanäle und ähnliche Themenkreise angesprochen.

Im essayistischen Teil werden subjektive Eindrücke bei der Rezeption mit den überschaubaren Fakten der Zitate und Konnotationen verknüpft.

Im sogenannten Rezensionsselfie zeigen sich Autor und/oder Leser zusammen mit dem Kunstwerk. 
In der reinen Form des TikTok präsentiert sich meist eine Userin mit dem Buchcover und einer markanten Gebärde.

In der erweiterten Form tritt das Rezensionsselfie als ein Schnappschuss auf, worin Autor und Rezensent gemeinsame Sache machen und ein Bild ergeben.

Anhand des Romans „Im Vorhof zum Garten Eden“ von Christoph Themessl lässt sich bestens dokumentieren, wie eine Neuerscheinung augenzwinkernd ansprechend anhand eines Selfies vorgestellt werden könnte.

Das Rezensionsselfie als Text:

Nach immerhin 28 Jahren hat der Innsbrucker Autor Christoph Themessl nun seinen zweiten Roman veröffentlicht. 
Das neue Buch, erschienen im Hofinger Verlag, wiegt zwar für drei Romane, dennoch hat der Schreiber, literarisch gesehen, einiges an Zeit verbummelt, wie er selber zugibt: vor allem mit Journalismus und philosophischen und erkenntnistheoretischen Angelegenheiten beziehungsweise Texten.

Seine Liebe zur Prosa sei erst wieder gewachsen mit der Einsicht, dass der menschliche Verstand, auf sich alleine gestellt, Bankrott erklären muss. Gegen KI zu guter Letzt haben wir keine Chance, aber KI ist (ausgenommen vielleicht in der Medizin und ähnlichen Bereichen) sinnlos, weil sie ohne Sinne „denkt“.

Der neue Roman, der vor allem in Italien und Kroatien spielt, besticht demgemäß durch impressionistischen Stil und menschliche Offenheit, die in den gesellschaftlichen Analysen bisweilen auch unter die Gürtellinie zielt. Der Roman ist provokant, da er nicht nur von hetero-, sondern auch von homo- und bisexueller und inzestuöser Liebe handelt.

Von allem, was es auf dem Feld der Liebe ganz offensichtlich gibt, wenn man die anerzogenen moralischen Scheuklappen abzunehmen bereit ist. Bei dieser Trennung von der gutbürgerlichen Schutzbrille, die nur monogame Verhältnisse sehen will und leider wieder modern ist und auch von jungen Menschen vermehrt getragen wird, leistet der „Vorhof zum Garten Eden“ gerne Hilfe.

Doch wovon handelt der Roman nun?

Er erzählt uns von Meeresmuscheln, Bergen, Dünen und Wäldern, Klippen, vor denen die Wasserleichen gestrandeter afrikanischer Flüchtlinge treiben.

So kippt die Handlung aus der Evolution der Erde in den Moment des Geschehens, in unsere Zeit.

Der österreichische Soldat Friedrich Lewish begleitet seinen italienischen, seit einer Kriegsverletzung an den Rollstuhl gefesselten Kameraden Luigi Pompejo vom Stützpunkt in Crotone nach Triest. Dort lernt er dessen Tante, die umtriebige, poetische Clara Verde kennen, die italienische Tradition und moderne Frauenrechte mit freier Sexualität zu verbinden sucht. Eine Gianna Nannini-Neuauflage der Zwanziger, wenn man so will. 
Doch wie bringt man italienischen Machismo und Feminismus unter einen Hut?

Das persönliche „Gesellschaftsmodell“ der modernen Femme fatale sieht für Männer und Frauen ein Leben in getrennten Klöstern vor – allerdings, um einmal in der Woche ein gemeinsames Fest der freien Liebe zu feiern…

H. Schönauer: Wie sind den denn die ersten Reaktionen auf das Buch? Hast du schon Rückmeldungen erhalten?

C. Themessl: Nun, von den 8,5% Test-Lesern meines engeren Bekanntenkreises meinten 50% „fürchterlich, kaum zum Aushalten, gar nicht zum Ertragen, nicht zum Lesen…“ und die anderen 50%, dass ich schließlich auch nur Klischees bedienen würde: Zum Beispiel Schwule, die sich nicht outen, oder ein Junge, der mit der Tante seines besten Freundes ins Bett geht. Allerdings stellt sich hinterher heraus, dass die Tante die Mutter des Jungen ist, die ihn einst nach der Geburt mit dem Vater alleine gelassen hatte. Und nun gibt es natürlich ein Problem, das uns zur griechischen Tragödie des Sophokles und auch zum Sigmund Freud führt. Wie konnte das passieren? Und ist es wirklich so tragisch?

Im Hintergrund des Romans fließen Erfahrungen des Autors als einstiger Berichterstatter aus Krisenregionen wie Südostanatolien oder Serbien mit ein. Vor dem Hintergrund des Syrienkrieges sind die Protagonisten in den ewigen Kampf des Guten gegen das Böse, das Selbstbestimmung und Freiheit der Menschen zu unterjochen sucht, verwickelt und müssen ein ums andere Mal finden, dass sich die Menschen im „Vorhof zum Garten Eden“ selber die Hölle bereiten.

H. Schönauer: Was ist für dich das Böse?

C. Themessl: Das Böse ist dasjenige, welches behauptet, die Wahrheit über das Gute zu kennen und in dessen Namen die „Schlechten und Unwissenden“ zu belehren, zu unterjochen und zu versklaven. Natürlich sind die „Schlechten und Unwissenden“ nur diejenigen, die im Moment nicht über die materielle Macht verfügen, ihre eigene Religion, Wissenschaft, ihre Gerechtigkeit und Moral, mit einem Wort ihre Wahrheit durchzusetzen. Wären sie selber an der Macht, wären sie vermutlich auch nicht viel besser. Die Mächtigen schreiben bekanntlich die Geschichte. Die einzige Hoffnung ist, dass eines Tages in diesem vielleicht dialektischen Prozess Güte und Toleranz an der Macht sind und die Menschen und Gesellschaften endlich in Ruhe sich selbst leben können.

H. Schönauer: Teilst Du in dieser Hinsicht irgendeine Zuversicht?

C. Themessl: Vielleicht waren wir manchmal schon knapp dran – „Weimarer Musenhof“, „Flower-Power“ und dergleichen. Aber im Moment drohen wir, fürchte ich, alle Initiativen zu verlieren.

Fazit:

Die Menschen sind noch immer auf der Suche nach Glück. Die Weltgeschichte säbelt ständig an ihnen herum, verletzt sie, verschickt sie, lässt sie über Generationen nicht zur Ruhe kommen. Im Vorhof zum Garten Eden warten die modernen Helden wie immer auf Einlass ins Paradies. Sie vertreiben sich dabei die Zeit mit klugen Dialogen und ahnen, dass man das Glück herbeireden muss, denn von alleine kommt es nicht. – Eine witzige Sinnsuche.

Christoph Themessl, Im Vorhof zum Garten Eden. Roman
St. Johann: Verlag Hannes Hofinger 2025, 580 Seiten, 26,00 €, ISBN 978-3-9505593-4-7

 

Weiterführender Link:
Verlag Hannes Hofinger: Christoph Themessl, Im Vorhof zum Garten Eden

 

Helmuth Schönauer, 26-08-2025

Bibliographie
Autor/Autorin:
Christoph Themessl
Buchtitel:
Im Vorhof zum Garten Eden
Erscheinungsort:
St. Johann
Erscheinungsjahr:
2025
Verlag:
Verlag Hannes Hofinger
Seitenzahl:
580
Preis in EUR:
26,00
ISBN:
978-3-9505593-4-7
Kurzbiographie Autor/Autorin:
Christoph Themessl, geb. 1967 in Innsbruck, lebt in Innsbruck.