Werner Schandor, Die Sterne sehen heut‘ sehr anders aus

h.schoenauer - 17.10.2025

Werner Schandor, Die Sterne sehen heut‘ sehr anders ausEin mitreißendes Buch erkennt man nach gängiger Bibliothekskunde daran, dass die Leser während der Lektüre aufspringen und Bewegungen der Verzückung, Entspannung oder Ekstase ausführen. Werner Schandor berichtet mit seinem „Sternchen-Buch“ vom mitreißenden Abenteuer Sprache, das die Menschen immer dann in den Bann zieht, wenn sich niemand mehr auskennt, weil sich ein Trend verselbständigt hat.

Der Untertitel „Genderfolklore und Medienklischees“ deutet bereits die Methode an, mit der man dem großen Verwirrspiel beim gender-gerechten Sprechen entgegentreten könnte: Mit Kabarett-Dramaturgie nämlich.

In einem mitreißenden Grotesk-Szenario beschreibt Werner Schandor eine x-beliebige öffentliche Veranstaltung, bei der alle paar Sätze irgendwer aufspringt und wie wild zu Schuhplatteln beginnt. Das Publikum in den Alpen kennt diese gehüpften Vorführungen und kann sie auch klug einordnen. Beim Schuhplatteln handelt es sich um ein Geschäft, das Touristen vorgesprungen wird, damit diese die Kohle leichter loslassen. Und wer in den Alpen schuhplattelt, ist meist ein Vertreter einer Regionalregierung, die standesgemäß in Loden und Hüpf-Leder gekleidet ist.

Diese Groteske spielt sich sprachlich auf den Universitäten ab, wenn mitten in einem Referat die vortragende Person zu würgen, zu schlucken, zu verdoppeln oder die Augen zu Sternchen verdrehen anfängt. Diese völlig vom Inhalt losgelösten Rituale sollen wie das Schuhplatteln von einem Geschäft erzählen, das die Unis mit ihren Gleichberechtigten-Beauftragten geschlossen haben. Dieses verbale Hüpfen soll kundtun, dass es sich um eine öffentlich abgesegnete Wortübung handelt und im Übrigen die Uni für die Gleichberechtigung der Geschlechter ist.

Aus dieser Sprech-Fabel lernen wir den Ausweg aus dem üblichen Gender-Desaster, das an manchen Orten den öffentlichen Diskurs lahmlegt. Es geht nicht um eine irgendwie logisch abgestützte Sprachanwendung zwischen natürlichem und grammatikalischem Geschlecht, es geht einzig um eine politische Absichtserklärung: Seht her, wir haben die Welt als wokes Gemeinwesen begriffen.

Zeitgeschichtler erwähnen in diesem Zusammenhang oft die Machtdemonstration der Nazis, manche ihrer Schriften mit Runen auszugestalten, um zu zeigen, dass die Partei die Sprache übernommen hat in Wort und Schriftbild.

Auf dieses verstörte Schriftbild rekurriert der Essay „Die St*erne sehen heut’ sehr anders aus“. Dabei wird der sogenannte Asterisk, wie das Sternchen genannt wird, als Abschussrampe für Verstörungen gedeutet. Das Sternchen macht sich nämlich im Layout selbstständig und entwickelt in den Lesern ein Eigenleben, das auf persönliche Sternchen-Erfahrung fußt. Der Autor beschreibt seine Erfahrung aus der Kindheit, als er seinem Bruder beim Ministrieren zusehen konnte und im religiösen Dämmerlicht plötzlich Sternchen mitten in der Kinderwelt zu tanzen begannen. Wenn er heute während der Lektüre auf einen Asterisk trifft, kommt ihm alles Mögliche in den Sinn, nur nicht die Botschaft, dass hier ein Begriff in diverse Geschlechtssubstanzen aufgeteilt werden soll.

Als groteske Asterisk-Erfahrung lässt sich auch der Kommentar des Schriftstellers Franzobel lesen, der bei der Lektüre der Zeitschrift „Schreibkraft“, die in ihrem Emblem mit einem Sternchen ausgestattet ist, meinte, das erinnere ihn stark an einen zusammengekniffenen Anus.

Neben den Gender-Grotesken in Wort und Bild geht es in den knapp fünfzehn Essays, Rezensionen und Erfahrungsberichten aus dem Sprachbetrieb unter anderem um sogenannte N-Wörter, wie verbotene oder geächtete Begriffe bedeutungsleer umschrieben werden. Als etwa die Niederösterreichische Landeshauptfrau einmal unhinterfragt einen Sachverhalt als „normal“ bezeichnete, wurde das Wort zu einem N-Wort. Wochenlang durfte das Wort „normal“ nur unter Anwendung von Häme und Gepolter verwendet werden.

Der bewährte Marketingspruch, wonach der Wurm dem Fisch schmecken soll und nicht dem Angler, wird in der öffentlichen Sprache freilich längst umgekehrt: Der sprachliche Köder muss dem Uni-Personal schmecken, nicht der Öffentlichkeit.

Das Abenteuer Gendern wird im Laufe der Essays als Prozess dargestellt, der sich in Jahresringen neu um den Kern einer geschlechtergerechten Sprache krümmt und diesen dabei abwürgt, sodass wir es mit Totholz, wenn nicht gar einer toten Sprache zu tun haben.

Wer schon länger auf dem sprachlichen Minenfeld unterwegs ist, wird sich anhand der dargestellten Debatte vielleicht noch an das Phänomen der Zwangskleinschreibung erinnern, wie es in den 1970er Jahren aufgepoppt ist. Zuerst wurde diese Kleinschreibung als politisches Statement ausgerufen, später als Richtbeil, mit dem alle Nicht-Mitläufer hingerichtet wurden, und schließlich verweigerte das Publikum einfach den Konsum aller Bücher, die in Kleinschreibweise gedruckt waren.

Ähnliches scheint beim Gendern der Fall zu sein. In Büchereien ist die Hauptfrage bei der Entlehnung, ob das Buch wohl nicht gegendert ist. Bücher mit Sternchen bleiben eisern liegen.

Und auch am universitären Gelände wird dem Gender-Unfug mittlerweile pragmatisch begegnet. Die meisten Texte werden ohnehin mit KI erstellt, indem man im Prompt eine lesbare Fassung verlangt. Und die KI spuckt dabei verlässlich ungegenderte Formulierungen aus.

Die echten wissenschaftlichen Arbeiten verfasst man ohnehin bereits auf Englisch, wo niemand auf die Idee käme, einen „officer of“ zu gendern.

In der editorischen Notiz stellt der Autor eine Frage, die sich quer durch den Diskurs der Geschlechtergerechtigkeit zieht. Wie würde man diskutieren müssen, wenn Männer, und nicht Frauen fünf Jahre länger lebten? Und als wie disfunktional würde ein Schulsystem dargestellt werden, wenn die Mehrzahl der Lehrenden männlich wäre?

Werner Schandors Essaysammlung erzählt letztlich unaufgeregt von jenen witzigen Begebenheiten, die entstehen, wenn eine politisierte Clique sich die Sprache unter den Nagel reißen will.

Sein Ausweg ist dem Modell des „Hausierers“ von Peter Handke nachempfunden, worin ein Kriminalfall sich dadurch in Wohlgefallen auflöst, als die Kinder den Mord spielen.

Schuhplatteln als sprachliche Auflockerung kann wahrlich Erleichterung schaffen.

Werner Schandor, Die Sterne sehen heut‘ sehr anders aus. Über Genderfolklore & Medienklischees
Ahrensburg: tredition 2025, 176 Seiten, 19,80 €, ISBN 978-3-384-57390-2

 

Weiterführende Links:
tredition: Werner Schandor, Die Sterne sehen heut‘ sehr anders aus
Textbox: Werner Schandor

 

Helmuth Schönauer, 14-08-2025

Bibliographie
Autor/Autorin:
Werner Schandor
Buchtitel:
Die Sterne sehen heut‘ sehr anders aus. Über Genderfolklore & Medienklischees
Erscheinungsort:
Ahrensburg
Erscheinungsjahr:
2025
Verlag:
Tredition
Seitenzahl:
176
Preis in EUR:
19,80
ISBN:
978-3-384-57390-2
Kurzbiographie Autor/Autorin:
Werner Schandor, geb. 1967 in Fürstenfeld, lebt in Graz.