Wahrscheinlich ist die perfekte Hülle gleichsam ihr Inhalt. Diese Vermutung taucht zumindest bei der Analyse des Web auf, wo kaum noch zwischen Content und Containment unterschieden wird. Georg Hasibeder geht mit seinem listigen Essay aus der Serie „Kultur der Dinge“ der Frage nach, was eigentlich eine Dose ist. Ist sie vielleicht der heimliche Sinn eines Produktes, wenn wir es in der Hand halten und inszeniert zum Mund führen, wie etwa den berühmten Energiedrink mit dem Stier drauf?
Die Idee für diesen Essay speist sich aus der Neugier für die Dinge des Alltags. Anhand eines Gegenstands wird die große Kulturgeschichte über Jahrhunderte erzählt. Mit jedem neuen Schritt kommt es zu einer Seitengeschichte, die wiederum eine eigene Kulturgeschichte aufmacht.
Als etwa Puder in die Dose gepresst wird, um sich in höchsten Kreisen stets die Nase zu pudern, zweigt die Dosengeschichte ab und wird eine Hygienegeschichte, worin erklärt wird, warum Puder geradezu notwendig wird, um die stinkenden Leiber der Highsociety ohne Geruchsunfall aneinander vorbei zu lotsen.
Die Geschichte der Dose beginnt im Mythologischen, aus grauer Vorzeit werden verschiedene Fassungen vom Sündenfall überliefert. Neben dem Apfelbiss von Eva, der zur Vertreibung aus dem Paradies führt, gibt es auch die Variante, dass Pandora, die aus Lehm geschaffene Frau, aus ihrem Gefängnis in einem Tonkrug befreit wird und Unheil stiftet.
Jahrhunderte später soll Erasmus bei seiner Übersetzung eine neue Spielart gewählt haben, indem er von der Büchse der Pandora spricht. Mit dieser Büchse ist eine kunstvolle Dose gemeint, die man aus angeberischen Zwecken mit sich herumführt, um den gesellschaftlichen Stand zu zeigen.
Daraus entstanden sind Dosenuhr, Tabaksdose, Puderdose oder Spieldose. Alle diese Dosen sind Einzelstücke aus Manufakturen. Der feine Unterschied zwischen den einzelnen Modifikationen ist vor allem im Apothekerwesen geragt, wo die Größe der Dose die Dosis konnotiert.
Die Dose als Massenware ist aus dem kriegerischen Einsatz unter Napoleon entstanden, als die Verpflegung der Truppen allmählich in Dosen ausgegeben wird. Diese werden bald einmal universell eingesetzt, das Blech ist dick und wird in Handarbeit zugelötet, während der Verbraucher mit einem martialischen Gerät, wie dem Bajonett, die eiserne Ration aufbricht.
Erst der Einsatz als Bierdose gibt dem Metallgehäuse eine gewisse Leichtigkeit, indem man jetzt bloß noch zwei Löcher (Luft- und Trinkloch) in den Deckel hineinsticht, um in die Genusszone zu gelangen.
Die Geschichte von Eroberung, Krieg und Expedition ist immer auch eine Geschichte der Dose, die sich dadurch ähnlich rasant verbreitet wie heutzutage die Plastikflasche.
Neben dem Gebrauchszweck leistet sich das Gebinde stets auch den Charme von Luxus oder purer Kunst. Wenn diese Verbindung nicht freiwillig geschieht, dann kommt es eben zum gewollten Zusammenschluss als Kunstakt, indem Andy Warhol einfach die Suppendose zum Gemälde macht.
Höhepunkt aus österreichischer Sicht ist die geniale Erfindung des Stier-Imperiums, aus der darniederliegenden Aluminiumindustrie gepaart mit der Krise im Zuckerrübenmarkt ein Unikat wie die Büchse der Pandora zu kreieren, indem Dose, Zuckersaft und Gestus täglich tausendfach zu einem Staatsakt verschmilzt. Jeder, der einen Red Bull aufmacht, leistet sich ein Stück österreichischer Wohlbefindlichkeit.
Georg Hasibeder spielt als Literaturwissenschaftler sein Wissen über die kleinen Dinge und Devotionalien aus, die im Umfeld von Kunst und Literatur auftreten. Dabei gewährt er einen kurzen Einblick auf seine gegenwärtige Kreativität bei einer Firma, die Lacke erfindet und vertreibt. Die meisten Lacke werden in Dosen vertrieben, die innen und außen mit Lack versehen sind. Außen ist es der Dosenlack, der die Botschaft über den Inhalt verkündet, innen sitzt der Lack, der das sein will, was man ihm außen aufgemalt hat. Kunstvoller lässt sich der Zusammenhang zwischen Content und Containment nicht beschreiben.
Den Abspann bildet eine Geschichte über die Dose als Sarg, eine Urne hat eine gewisse Ähnlichkeit mit der Büchse, aus der Pandora einst entlassen worden ist. Damit findet der Essay ein elegantes Ende, das auf den Anfang rekurriert.
Nur der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass der Begriff Dose auch in der Vulgärsprache verwendet wird und dort sexistische Auswüchse erlebt.
Aber die Kulturgeschichte der Dose kann durch Trivialitäten nicht aus der Fassung gebracht werden, die Dose erweist sich als handlich, hilfreich und beinahe humoristisch, was sich beim Griff nach ihr jederzeit nachprüfen lässt.
Georg Hasibeder, Die Dose. Eine kleine Kulturgeschichte. Mit einigen Illustrationen, Reihe Kultur der Dinge
Innsbruck: Limbus Verlag 2025, 96 Seiten, 15,00 €, ISBN 978-3-99039-278-2
Weiterführender Link:
Limbus Verlag: Georg Hasibeder, Die Dose
Helmuth Schönauer, 10-09-2025