Stille ist in der Literatur ein magischer Raum, der das Ich umschließt, ohne es zu bedrücken. Im Gegenteil, Stille fordert die Reduktion auf das momentan Wesentliche geradezu heraus. Die Dauer dieses Zustands kann ein paar Tage dauern wie bei der „Stillen Zeit“ um Weihnachten herum, oder einer ganzen Epoche den Stempel aufdrücken, wie in Henry Millers Roman „Stille Tage in Clichy“.
Simon Konttas schickt das lyrische Ich in den Modus von „Stillen Stunden“, die daraus resultierenden Gedichte handeln einerseits von Ereignissen, an denen sich die Stille bricht, andererseits ermöglichen sie den Lesern, selbst die Konsistenz stiller Stunden zu erleben.
Im Titelgebenden Poem „Stille Stunden“ (89) lassen sich dann auch ein paar komprimierte Nuancen dieser Stille zwischen Existenz, Philosophie und Alltagsausfluss erkennen. Die Stille entwickelt sich zwischen den Ritzen der fünf Strophen, die jeweils eine Art Regieanweisung für das Erinnern darstellen. Die fünf Strophen ergeben schließlich ein „Stillleben“ mit Rondo-Charakter.
1. Das Bett, auf dem sich die lyrischen Helden einst liebten, steht eingeklappt zur Couch immer noch neben dem Tisch, an dem das vereinzelte Ich jetzt schreibt / 2. Als sich das Ich wieder einmal zufällig auf diese Couch setzt, erschrickt es wegen der Erinnerungskraft dieses Möbels. / 3. Gerade in der Lautlosigkeit entsteht leicht eine arglose Verschwiegenheit, aus der die Vergangenheit jäh hervorbricht. / 4. Vor allem die unverfänglich vertrauten Dinge treten plötzlich mit eigenen Rollen auf die Bühne stillen Inventars. / 5. Im Stil eines Rondos platzt das Bett wieder aus der Erinnerung hervor, wird zur Couch neben dem Tisch, an dem das Ich wie immer schreibt.
Simon Konttas entwickelt eine feine „Ritzenlyrik“, die scheinbar unauffällig, aber ausgestattet mit der Kraft von Pionierpflanzen zwischen den Steinen der Alltagspflasterung hervorbricht.
Die knapp fünfzig Gedichte sind in sechs Schatullen abgelegt, die mit den römischen Zahlen I – VI nummeriert sind wie die Bandangaben einer Buchserie. Im konkreten Fall sind sie auch als Härtestufen auf einem Lakmusstreifen zu lesen, der die Körnung der gemahlenen Zeit misst.
Schauplätze dieser Zeitmühle sind spirituelle Ankerpunkte, das in sich verschlossene Ich, die Umgebung im Stil einer Zeichnung, Wetter und Jahreszeiten. Auch hier lässt sich wieder eine subkutane Botschaft herauslesen, wenn man die Gedichtüberschriften als Marker einer ausgehebelten Zeitenfolge liest. Ein Haus – Das Feld – Zustand – Mitternachtssonne.
In dieser Klarheit, die an die Aufgabenstellung für eine Kinderzeichnung erinnern, führen die Gedichte direkt ans Regal des Lyrikers Jürgen Becker, dessen Bücher straff überschreiben sind mit: Felder, Ränder, Umgebungen, Schnee.
Einmal ist ein Gedicht mit Zeitbild eins und zwei umschrieben, was ein lyrischer Screen einer Informationssendung sein könnte, ein anderes heißt Genrebild drei, womit sich erklärt lässt, dass die Gedichte jeweils auch komplette Gattungen von Empfindung hervorbringen können.
Ein unverwechselbares „Genre“ sind die Finnland-Gedichte, die allein durch die Beschreibung eines einsamen Hauses im Norden einen Kosmos an musikalischen Landschaftselementen hinterher ziehen.
Im spirituellen Sektor müssen sich Intarsien einer praktizierten Religiosität in einer neuen Umgebung bewähren. Gleich im dritten Gedicht sitzt eine Nonne im Wartesaal eines Arztes und verkürzt sich das Warten mit Lippenbewegungen für einen unhörbaren Psalm, und auch ihre Oberin hat nichts davon, denn die Gebete sind nach innen gerichtet für einen Körper, der offensichtlich erkrankt ist.
Die skizzenhaften Beobachtungen einer Alltagsszene schaffen in ihrem Innern Raum für das freigelegte Innenleben, das in glücklichen Momenten osmotisch mit der Außenwelt korrespondiert.
Simon Konttas „Stille Stunden“ sind Petitessen eines Stillschweigens, das sich federleicht erzählen lässt. Couch, Schreiben, Liebe, Rondo – jeder ist gefangen von diesen Tönen, wenn sie ins Spiel gebracht werden.
In einer Notiz als Nachwort verweist der Autor auf den Fakt, dass selbst das kleinste Gedicht von einem Spannungsfeld lebt, indem der Autor während des Schreibens mit seinen nächsten Menschen korrespondiert. Liebe, Einsamkeit, Versunkenheit in sich selbst, alles sind große Zustände eines überschaubaren Ichs, das sich selbst einen Bypass legen muss, um den Herzschlag im Rhythmus zu halten.
„Das lyrische Ich entspricht daher manchmal, aber durchaus nicht immer dem Ich des Verfassers, vor allem dort, wo Geschichten erzählt und, nennen wir sie einmal so, ‚Stimmungsbilder‘ gestaltet werden, für welche gelten kann, dass sie nicht allein persönlich flüchtige Befindlichkeiten des Verfassers wiedergeben.“ (111)
Simon Konttas, Stille Stunden. Gedichte
Klagenfurt: Sisyphus Verlag 2024, 111 Seiten, 12,00 €, ISBN 978-3-903125-88-9
Weiterführende Links:
Sisyphus Verlag: Simon Konttas, Stille Stunden
Wikipedia: Simon Konttas
Helmuth Schönauer, 20-09-2024