Nikolaus Scheibner, Ethik der künstlichen Intelligenz
Wenn die Gedichte an die künstliche Intelligenz ausgelagert sind, bleibt dem Individuum nur mehr die Ethik, um sich bemerkbar zu machen. Aber was ist, wenn auch die Ethik der künstlichen Intelligenz untergeordnet wird?
Nikolaus Scheibner kämpft mit „echten“, „selbstgemachten“ Gedichten gegen die künstliche Intelligenz an, die er letztlich als Epoche der Menschheit empfindet, wie früher Stein oder Bronze den Evolutionsschüben der Menschheit einen Namen gegeben haben. Folglich sind die Gedichte auch in Zyklen eingereiht, die auf diese Epochen rekurrieren. Holz / Stein / Kupfer / Eisen / Plastik.
Die sogenannte Theorie dieser Lyrik ist in einem prägnanten Nachwort zum Klingen gebracht. Zwei Gedankengänge stechen daraus markant hervor.
Ein Hund ist durchaus imstande, entgegen seinen angelernten Konditionierungen zu handeln, was ihn zu einem Individuum macht. Die KI kann momentan diesen Widerstand noch nicht aufbringen, wenn er nicht im Programm eingebaut ist. Will man also Herr über die KI bleiben, muss man in den Widerstand gehen. Das heißt, in seinen eigenen Befehlen über sich selbst den Widerstand einbauen.
Texte entstehen durchaus ähnlich der Evolution aus Rekombinationen von Vorhandenem und Bekanntem. Dennoch handelt es sich nicht bloß um zufällige Mutationen, sondern es steckt jeweils eine Absicht dahinter. Gedichte unterscheiden sich von KI-Schöpfungen durch die Absicht, die man grob auch Ethik nennen könnte.
In den knapp über hundert Gedichten, jeder Epoche sind etwa zwei Dutzend „Fallbeispiele“ gewidmet, wird diese Ethik angewandt, indem sie hinter einem eingefrorenen Augenblick, einer Beobachtung, einer Szenerie verborgen wird wie bei einem Adventkalender. Das Öffnen des Bild-Türchens wird zu einem ethisch gesteuerten Akt, der diese Prozedur von einem KI-Durchlauf an Texten unterscheidet. Letztlich ist es der User, der die Lyrik zum Vorschein bringt. Wenn dieser sich freilich wie eine austrainierte Maschine verhält, werden sich ihm die Texte nicht erschließen. Der Leser muss wie der Hund sein antrainiertes Leseverhalten überwinden, um die Texte mit der notwendigen Luft zur Entfaltung zu versorgen.
Den einzelnen Epochen sind folglich ethische Programmatiken untergeordnet, die im Sinne einer Gebrauchsanweisung für eine KI die einzelnen Texte abrufen. Diese geben sich als Gedichte, Notizen, Tagesprotokolle oder lyrische Merksätze aus.
Holz (3): Die meisten Bäume fühlen sich / mittlerweile zurecht gepflanzt.
Stein (24): Vom Faustkeil zur Gewaltturbine.
Kupfer (42): Wer ohne Irrationalität ist / wechsle den ersten Chip.
Eisen (61): Die meisten Eisenten haben keinerlei / Wortmundhabungsmängel zu beschnäbeln.
Plastik (86): Der Mensch ist keine / Mundmischmaschine.
Je nach Epoche tauchen die Bilder in verschiedenen Verpackungen auf, man könnte die einzelnen Materialien nicht nur als Wirkstoffe lesen, sondern als pure Verpackung. Die einzelnen Stationen der Evolution wären somit diverse Container für das ewig gleiche Containment: Mit Widerstand aus Bildern Absichten zu formatieren!
Die Bedeutungen der Wörter schwanken je nach Tagesverfassung, Netzwerke können zu Netzstrümpfen mutieren, ohne dadurch die richtige Bedeutung zu treffen. Kraniche sind zu Baukränen geworden in der Absicht, das Gesamtbild zu stören. „Die Sprache // gehört dem / Ohr mehr als / dem Mund.“ (11) Jemand hat sich bei der Semantik der Wörter vertan und stellt fest: Überall herrscht Gedichtemangel, wahrscheinlich die größte Herausforderung unserer Zeit. (17)
Während ein Nacktaffe am Steinobst herummacht, fällt dem lyrischen Ich die Sprache aus dem Mund, und niemand liest sie auf.
Als Gegenmittel wird ein Textbeispiel konstruiert, worin „Mimi ein Bier für Erwin kauft“. Aber so sehr der Satz auch aufgerufen, durchgespielt oder umgepolt wird, sein Sinn lässt sich nicht finden.
Eine Liste mit den gefährlichsten Wörtern der Welt wird eingeblendet und endet mit einer Triggerwarnung: Lesen auf eigene Gefahr. (53)
Im Nachgang macht die KI im Sinne eines Autors einem Gedicht Vorwürfe, dass es nicht gut genug geschrieben ist. „Dir fehlt der Kern / dein Rhythmus hinkt / von einem poetischen / Element weithin nichts.“ (60) Später taucht in der Zeit im Bild eine Berufsethikerin auf und sagt ein paar Worte, in der Hauptsache aber geht es ihr darum, nichts zu sagen, psst!
Auf der Suche nach dem obligaten Vogel, der mittlerweile in jedem Lyrikband versteckt werden muss, seit es ihn in Natura kaum noch gibt, wird man schließlich gegen Ende der Eisenzeit fündig. „Welche Kehle hat der Vogel“ (72) beschreibt das Dilemma, dass die Vögel selbst bei ihrem Untergang noch kategorisiert werden nach seltsamen Kriterien. Der Vogel dieses Gedichts hier prahlt wie hirntot mit Grausamkeit in Essig und Öl und plustert sich auf zu einem Staat, der alles zum Theater erklärt.
Die Ethik der künstlichen Intelligenz verlangt vom Leser Widerstandskraft, um zwischen den durchgespielten Bildern der Suchmaschinen jenen Auftrieb zu finden, der nur zwischen den Zeilen selbstgemachter Gedichte nisten kann.
Nikolaus Scheibner: „In erster Linie ist natürlich die Weiterentwicklung der menschlichen Intelligenz gefragt.“
Nikolaus Scheibner, Ethik der künstlichen Intelligenz. Gedichte
Wien: Edition fabrik.transit 2023, 111 Seiten, 18,00 €, ISBN 978-3-903267-53-4
Weiterführende Links:
Edition fabrik.transit: Nikolaus Scheibner, Ethik der künstlichen Intelligenz
Wikipedia: Nikolaus Scheibner
Helmuth Schönauer, 01-12-2023