patricia brooks, bukarest bistroFür eine Reise durch die Geographie braucht es ähnliche Stützpunkte wie für eine Reise durch das weite Land der Poesie. Einmal sind es Karawansereien, Biwak-Boxen oder Bistros, die das reisende „Wir“ versorgen, dann sind es wieder Wolkenballen, Sträucher und Licht, aus denen sich die Gedichte speisen.

Patricia Brooks setzt für ihre Reise das „Bukarest Bistro“ in Szene und in den Titel. Darunter finden sechzig Gedichte Unterschlupf und berichten von einer imaginierten Welt auf mehreren Ebenen. Einmal ist mit dem Bukarest Bistro eine Location benannt, wie wir sie überall auf der Welt vorfinden, wenn jemand der rumänischen Hauptstadt zuliebe ein Café aufgemacht hat. Andererseits ist ein märchenhaft fernes Land damit verknüpft, das zur Anreise animiert, und drittens liefert der Begriff eine erste Befriedigung jener Sehnsucht, wegen der wir aufgebrochen sind.

raimund bahr, poeterey eines unbrauchbarenVielleicht sollte man Poeterey ganz despektierlich mit Tätigkeiten vergleichen, die ebenfalls mit einem Ei enden: Bücherei, Metzgerei, Bäckerei. Alle diese Cluster-Verrichtungen sind vom Aussterben bedroht, weil sie für das aktuelle Gesellschaftsleben „unbrauchbar“ sind.

Raimund Bahr versetzt sich in die Lage eines Unbrauchbaren, der nach alter Manier etwas anstrebt, was Nachdenken, Reimen, Spinntisieren, Aufschreiben bedeutet. Poeterey ist eine ausufernde Tätigkeit, die sich ständig selbst Regeln überstülpt, um sich halbwegs in den Griff zu bekommen.

siljarosa schletterer, azur ton näheDie verschwiegenste Lyrik wächst für Augenblicke aus dem großen Fließen heraus, wenn das abgedriftete Auge zurückschnellt, um abermals dem Verlauf des Wassers zu folgen.

Siljarosa Schletterer siedelt ihre Gedichte an einem Fluss- und Fließsystem an, „azur ton nähe“ belegen als Farbe, Musik und Innigkeit unbegleitete Wörter, die scheinbar zufällig als Flusskiesel am Ufer liegen.

Dieses Gewässersystem ist einerseits als imaginäres Netz von Lebenssubstanz über die Erde gespannt, andererseits mit GPS-Daten verortet. So wie heute bereits jedem Foto die Aufnahme-Koordinaten innewohnen, so sind die Gedichte mit konkreten Daten hinterlegt und als Überschrift gesetzt. In einem angeschwemmten Flussverzeichnis am Ende des Bandes kommen die Flüsse als Register zum Vorschein, und in diesem Fall sind die Schwerpunkte mit den Seitenzahlen des Gedichtes fixiert.

peter paul wiplinger, schachteltexte3Damit die Literatur aus dem Leben heraustreten und sich Luft verschaffen kann, braucht es zwei Beobachtungsschlitze: Durch den einen blickt man auf den anstehenden Tag, durch den anderen auf das verflossene Leben.

Peter Paul Wiplinger führt die beiden Suchbewegungen mit seinen Schachteltexten elegant und eindringlich zusammen. Seit fünfzehn Jahren arbeitet er an diesem einmaligen Dokument, wobei auf ausgeklappte und ausgerissene Verpackungsteile mit der Füllfeder Texte komponiert werden. Ein Auge blickt auf den aktuellen Zustand des schreibenden Ichs und das andere setzt sich den historischen Gezeiten von Kindheit bis zur Reife aus.

heinz d. heisl, gereinigter haushaltVielleicht gibt es in der Lyrik so etwas wie poetische Hygiene, wonach die Beteiligten aufgeräumt in sich selber wohnen und so geschützt sind von Lebewesen allzu einfacher Bauart, wie es Viren und Bakterien darstellen. Nur wer den täglichen Attacken als Zwischenwirt standhält, kann seinen künstlerischen Blick stabil halten wie auf einem Stativ.

Heinz D. Heisl hat eben noch von „Dieben im Haus“ erzählt, die zumindest am Papier die Hausordnung stören, und deshalb als Warnung am schwarzen Brett enden. Vielleicht ist auch ein schmutziges Verbrechen im Haus geschehen, und der Tatortreiniger musste eingeschaltet werden.

stephan eibel, decke wegZu den spitzen Aktionen, die auf elementare Bloßstellung hinauslaufen, zählt sicher das pädagogisch fragwürdige Spiel „Decke weg!“. Dabei wird in großen Schlafräumen spontan kontrolliert, ob die Schlafklienten die Hände an der richtigen Stelle haben und nicht am Genital herumfuhrwerken.

Stephan Eibel hat ein feines Gespür für Fügungen, die das Ungeheuerliche in netten Bildern zu verstecken versuchen. Decke weg ist ein brutaler Befehl, der jahrzehntelang aus Internaten und dem Bundesheer ins Freie gedrungen ist, wo freilich niemand zugehört hat.

felix philipp ingold, übersetzenLiteratur ist ein Material, das je nach Konsistenz gewisser Formen bedarf, um es zu transportieren oder archivieren. Neben den klassischen Erscheinungsformen wie Roman, Gedicht oder Essay gibt es noch etwas, was sich in keiner Form fassen lässt. Augenzwinkernd könnte man vom „Nichteingezwängten“ reden, also einem Text, der für alle Formangebote zu groß oder zu klein ist.

Felix Philipp Ingolds Literatur ist formvollendetes Nichteingezwängt-Sein. In voluminösen Bänden erscheint sein Lebenswerk quasi neu zusammengesetzt für die Nachwelt. Das heißt, die bislang veröffentlichten Schriften werden oft ihres Genres entkleidet und erscheinen als Stoffsammlung mit eingefügten Essays, Notizen, Repliken und Umschreibungen des früheren Zustandes als Erstveröffentlichung.

susanna bihari 3 mal liebeSchon seit Jahrhunderten wird die Liebe mit einer Kanonenkugel verglichen, bei der Abschuss und Einschlag gleich heftig sind. Dazwischen liegen die drei ballistischen Phasen aus dem Flugverkehr, Steigen, Gleiten, Sinken.

Susanna Bihari hält sich mit ihren Liebesgedichten an diese ballistischen Grundregeln, drei mal Liebe bedeutet vorerst, dass die Phasen sauber abgearbeitet werden mit schönen Formulierungen: „Du bist Kapitel 1“ (9), „Du bist Kapitel 2“ (33), „Und du bist Kapitel 3“ (55). Diese Gliederung lässt verschiedene Phasen-Lover zu, es kann aber auch ein einzelner sein, der als Held alles durchmachen muss.

gerhard rühm, epigramme und EpitapheÄhnlich den Beatles gilt auch der Wiener Gruppe seit beinahe siebzig Jahren die kollektive Aufmerksamkeit der Fans, dabei kommen die einzelnen Mitglieder auf den ersten Blick etwas zu kurz.

Gerhard Rühm ist das letzte noch lebende Fünftel der Wiener Gruppe, die vorerst als germanistisches Kunstprodukt gehandelt wird, haben doch die Mitglieder Friedrich Achleitner, H. C. Artmann, Konrad Bayer, Oswald Wiener und eben der Autor der Epigramme und Epitaphe nur losen Kontakt. Spötter sagen, die Germanisten hätten die fünf erst miteinander bekannt gemacht, damit sie das auf die Bühne brächten, was die Dichter-Macher von ihnen verlangten.

andrij ljubka, notaufnahmeManchmal kann Lyrik so wild sein, dass aus ihren frisch geschnetzelten Schnipseln noch der Rauch der Fräsung aufsteigt, ehe die Zeilen dann spitz und voller Stacheln auf die Gedichtfläche fallen.

Andrij Ljubka gehört zur Spitze der zeitgenössischen ukrainischen Lyrik, seine Texte fallen oft monumental aus und ziehen sich mit schwerem Schädel aus klebrig dichten Nächten und schleppen sich durch endlose Tage. Oft entgleitet sich das lyrische Ich selbst, taucht in einer Orgie aus Trance und Suff ab und kommt an einer entlegenen Stelle zum Liegen. Das Aufwachen ist es, was uns am meisten Schmerzen bereitet.