Mike Markart / Martin G. Wanko, Triest
Die großen Porträts über Städte berichten nicht von den Umtrieben der Helden darin, sondern von den Anreisen, Annäherungen und Fluchten in deren Hinterland. Mike Markart und Martin G. Wanko erzählen von der magischen Stadt „Triest“ aus einer steirischen Hinterlandperspektive heraus. Die konnotierten Träume zum schroffen „Triest“ bestehen aus Meer, Stadt, Nacht und Wind.
Mike Makart nähert sich Triest in fünf Erzählungen. Dabei ist die Stadt unverwechselbar erkennbar, aber die vorgeschalteten Erlebnisfilter machen den schwärmenden, vazierenden und flanierenden Ich-Helden zum Hauptthema.
Die erste Anreise geschieht schlafend als Jugendlicher, der sich vom Bus kurz in den Stadtkern fahren lässt, dann aber seine Kommilitonen verlässt und ins Hinterland wandert. Dort trifft er auf ein Idyll, das auf das Wesentliche zurückgefahren ist. Eine Alte treibt eine Herde Ziegen herum und gewährt dem Neugierigen Anschluss an die Herde. Von Triest bekommt dieser Held vor allem die Entfernung zum Hinterland mit, das anstandslos eine Brücke zur heimatlichen Steiermark schlägt.
In der Sequenz mit „Spaziergang“ wird die Stadt zwar erkundet, es geht aber vor allem darum, die richtige „Erkundungshaltung“ einzunehmen, diese ist nämlich bei jeder Stadt anders. In Triest gilt es vor allem, die Hände frei zu bewegen, während der Blick zwischen Baum, Vogel und Wasser eine Vermessung durchführt.
Ein Stipendium führt immer dazu, einen poetischen Tätigkeitsbericht verfassen zu müssen. Anlässlich eines Triest-Aufenthaltes 2020 schummelt das dankbare Ich ein wenig und verfasst statt des gewünschten Autogramms eine Empfindungsurkunde. Dadurch wird der Aufenthalt poetisch zertifiziert.
Umberto Saba, der gefeierte Dichter der Stadt, wird anhand eines Spazierstocks zu einer schlanken Gestalt der Literatur, die unbeirrt durch die Stadt flitzt, auch wenn dabei der Stock verloren geht.
Das sogenannte „Zollfreigebiet der Gedanken“ entwickelt sich schließlich zu einem Umschlagplatz von Ideen zu Gedichten, die am Wasser zwischen Vergessen und Schlaf dahindümpeln. Triest wird in diesem Zwischenreich der Stimmungen zu einem Erinnerungsplatz für Poesie.
„am wasser // ich fische. / seit ewiger zeit / ziehe ich wörter an land, hole sie vom haken / und lege sie vor mir auf. // ich funktioniere wie ein toter hund“ (45)
Martin G. Wanko besingt Triest als Vorstadt von Graz, wo sich das jugendliche Ich in einem Hochhaus erstmals poetisch sammelt, um Sehnsucht zu entwickeln. Vor dem Hochhaus geht die Straße stracks nach Triest, dem Ziel aller südlichen Ideen. Später startet der Held einen Reisebericht, der den Triest-Vektor aufsplittet in kleine Episoden von Handwerk, Geschichte, Wein und Architektur. Die Stadt besteht aus Anreise und Zeit.
Für diese Art des zeitlosen Reisens entwickelt Martin G. Wanko ein eigenes Reise-Genre. Im Stil von klassischen Reiseberichten und literarischen Hommagen wird die Tagesportion Reise beschrieben. Die Wischbewegung am Display ist wahrscheinlich schneller unterwegs als der Reisetext selbst, in kursiven Einschnitten wird anschließend dieser gekühlte Text zum Gären gebracht durch aktuelle Geschehnisse. Ein Auge schielt dabei auf die Textlage Triests in der Literatur, das andere auf das Tagesgeschehen rund um den Reisenden. Die Niederschrift in einem Hotel löst sich beim Korrekturlesen vom Text ab und wird selbst zu einer Reise.
Im Endeffekt entsteht dadurch ein individuelles Triest-Bild, bei dessen Erarbeitung die Lesenden zuschauen können.
Neben den Fotos, die sich in Anti-Selfie-Manier mit Wasser, Nebel, Dunst, Schlieren und Skulpturen beschäftigen, zeigen drei heimische Literaturmenschen ihre Sicht von der Stadt als Nachdichtung Mike Markarts. Dabei entstehen „Nachbilder“, wie wenn die Augen schon längst geschlossen wären, aber die Stadt nicht aus dem Sehfeld hinaus kriegten.
Die drei Texte von Beatrice Achille, Enrico Luttmann und Corrado Premuda zeigen letztlich das wahre Geheimnis Triests: Die Stadt unterscheidet nicht zwischen Einheimischen und Zugereisten. Wer sie liebt, den macht sie glücklich. Das ist Triest.
Mike Markart / Martin G. Wanko, Triest. Das Meer. Die Stadt. Wie die Nacht und der Wind. Fotos. Mit drei Nachdichtungen von Texten von Beatrice Achille, Enrico Luttmann und Corrado Premuda
Graz: edition keiper 2023, 149 Seiten, 22,00 €, ISBN 978-3-903575-03-5
Weiterführende Links:
Edition Keiper: Mike Markart / Martin G. Wanko, Triest
Wikipedia: Mike Markart
Wikipedia: Martin G. Wanko
Helmuth Schönauer, 30-05-2024