Richard Wall, Anonyme Inventuren

Buch-Cover

In Richard Walls kleinem Lyrikband ist eine große Galerie versteckt. Im ersten Durchblättern springen immer wieder die Seiten zurück und geben edel gerahmt durch den Ausschnitt eines Passpartouts Miniaturgemälde frei.

Die Collagen liegen unruhig in ihrem eigenen Ausmaß, man sieht es ihnen an, dass sie im Original viel größer waren, andererseits verklumpen durch das optische Einkochen auf die Größe eines Gedichts die Bilder zu beinahe plastischen Thumbnails.

Die Farben werden zu fetten Reliefs, die Schraffuren liegen als Destillat unter dem Okular, man dreht am eigenen Auge und macht die scharfen Bilder noch schärfer. Die Miniaturen flackern den Leser an wie kunstvoll gemalte Eingangsbuchstaben für eine geheimnisvolle Handschrift.

Aus der Schrift lösen sich schließlich die Gedichte heraus, anonyme Inventuren. Jemand ist mit einem lyrischen Auge durch Zeit und Raum gegangen und hat notiert, was in einer bestimmten Höhenzone des Augenblicks zu Tage getreten ist. Die Inventuren nennen sich Gegenrede, Makel, Waldviertel, Land verdampft hinter Lärmschutzwänden, Erinnerungen an Aquileia, Omen oder Collage. Oft aber dienen drei ?XXX? zur Umschreibung dessen, was sich darunter allmählich als lyrische Notiz entwickelt.

Seltsame Dinge geschehen, die erst durch das Nachfassen und Aufschreiben Ungemach, Verstörung oder Irritation auslösen. Wie in einem Katastrophenfilm werden die Kirschen zur falschen Zeit reif, etwas scheint in diesem Jahr anders zu laufen, die Störung der Vegetation hat sich bis in den eigenen Garten vorgeschlichen.

An anderer Stelle bricht sachte der Feierabend aus, aber anders, als ihn die Landschaft vorsieht. ?

Feierabend ist, wenn der Bagger / Verstummt, und der Nachbar / Wortlos im Kniehohen Gras watend / Mit erhobenen Armen auf den // Zunehmenden Mond zugeht?.

Hinter den Lärmschutzwänden schließlich verdampft tatsächlich das Land und Neubau um Neubau sinkt in klaffende Gruben, während die ?Unwesenheit? in Rauch aufgeht.

Als Leser wird man sein eigenes Sinnesdepot durch diese haptischen Lektüre, bei der sich das Erlebnis vom gerieften Papier über die Fingerkuppen in den Kosmos des eigenen Körpers ausbreitet. Schließlich findet man sich ganz als sein eigenes Gedicht vor, worin man zur Hauptsache geworden ist. 

?Der Schild auf dem ich liege / Gab frei mir die Erde // Ich ruhe auf dem was / Die Geologie vorschlägt // Die Knollen aus Feldspat / Drücken im Rücken // Weder die Welt noch ein Bett / Waren jemals vollkommen.?

Richard Wall, Anonyme Inventuren. / Anonymni inventury. Gedichte zweisprachig (tschechisch / deutsch). Übersetzung ins Tschechische von Josef Hruby. 7 Bilder.
Pilsen: Edition Zrcadlo (Der Spiegel) 2004. 36 Seiten. EUR 7,-. ISBN 80-86446-15-8.

 

Helmuth Schönauer, 18-01-2005

Bibliographie

AutorIn

Richard Wall

Buchtitel

Anonyme Inventuren. Gedichte zweisprachig

Originaltitel

Anonymni inventury

Erscheinungsort

Pilsen

Erscheinungsjahr

2004

Verlag

Edition Zrcadlo (Der Spiegel)

Übersetzung

Josef Hruby.

Seitenzahl

36

Preis in EUR

EUR 7,-

ISBN

80-86446-15-8

Kurzbiographie AutorIn

Richard Wall, geb. 1953 in Engerwitzdorf, lebt in Au bei Katsdorf.

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