Wie "geschlechtergerecht" kann Sprache sein? – Teil 2

gendervielfalt Während die einen die deutsche Sprache in Gefahr sehen, aus ideologischen Gründen durch das Gendern ihre Leichtigkeit und Verständlichkeit zu verlieren, sind andere davon überzeugt, dass mit einer „gendergerechten Sprache“ die Wirklichkeit verändert und die realen Lebensverhältnisse von Frauen in einer „männlich dominierten Welt“ verbessert werden können.

Dazwischen steht der Rat für deutsche Rechtschreibung, an dem sich die Regierungen der deutschsprachigen Länder als maßgebende Instanz für die deutsche Rechtschreibung verpflichtend orientieren. Was steckt hinter dem zum Teil vehement und verbissen geführten Streit um das Gendern, der weit über einen sprachwissenschaftlichen Diskurs hinausgeht und eine gesellschaftspolitische Dimension angenommen hat?

Zur Kritik einer „gendergerechten Sprache“

Im Zentrum der Diskussion über gendergerechte Sprache steht auf grammatikalischer Ebene das generische Maskulinum und auf gesellschaftsphilosophischer Ebene die Frage, welchen Einfluss die Sprache auf die gesellschaftliche Wirklichkeit ausübt, wobei beide Fragestellungen eng miteinander verbunden werden.

Genus und Sexus

Ewa Trutkowski und Helmuth Weiß gehen in ihrem Beitrag „Zeugen gesucht! Zur Geschichte des generischen Maskulinums im Deutschen“ den Wurzeln des umstrittenen „generischen Maskulinums nach. In der Grammatik bildet das Genus, neben der Person und dem Numerus eine jener Funktionen, die für die Übereinstimmung zwischen Subjekt und Prädikat notwendig sind. Das Genus wird üblicherweise auch als „grammatisches Geschlecht“ bezeichnet, von denen es neben Maskulinum (männlich), Femininum (weiblich) auch noch ein Drittes, Neutrum (sächlich) gibt. Bereits in der Bezeichnung „grammatisches Geschlecht“ für Genus liegt ein zentrales Problem im Streit um gendergerechte Sprache begründet. Es geht um die Frage, welcher unmittelbare Zusammenhang zwischen grammatischem Geschlecht und biologischem Geschlecht besteht?

Beim Genus handelt es sich um ein abstraktes Merkmal, das auch unbelebten Dingen zukommt wie: der Löffel, die Gabel und das Messer. Sexus hingegen ist der linguistische Reflex des biologischen Geschlechts von Lebewesen mit den Merkmalen männlich oder weiblich. Außerhalb dieser Binarität sieht die deutsche Grammatik grundsätzlich keine sprachlichen Markierungsoptionen vor.

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Das Genus wird auch "grammatisches Geschlecht" genannt, was immer
wieder zu einer Vermischung von Genus und Sexus führt.

Allgemein lässt sich festhalten, dass sich Sexusmerkmale, um „sichtbar“ zu werden, als Genusmerkmale manifestieren müssen. Sexusmerkmale tragen also immer Genusmerkmale, während der Umkehrschluss, dass Genussmerkmale immer auf Sexusmerkmale verweisen, nicht zutrifft. Hier liegt die Hauptursache für linguistische Fehlinterpretationen vor, die sich psychologisch auf die Verwendung des Begriffs "maskulines Geschlecht" zurückführen lassen.

Während in der deutschen Sprache im Singular allen Nomen verpflichtend ein Genus (grammatikalisches Geschlecht) zugeordnet ist, kommt dem Sexus keine obligatorische Eigenschaft von Nomen zu. So lassen sich unbelebte Nomen beispielsweise nicht sexusmarkieren, also als männlich oder weiblich bestimmen:
z.B. der Staubsauger – die Staubsaugerin

Auch müssen nicht alle belebten Nomen Sexus-Merkmale aufweisen:
z.B. der Mensch, die Waise, das Model

Außerdem gibt es für zahlreiche Tierbezeichnungen eigene Namen, mit denen die Tierart allgemein bezeichnet wird sowie Namen für ihre männlichen, weiblichen oder jungen Vertreter.

tabelle mit tierbezeichungen

Genus- und Sexus-Merkmale können dabei sogar voneinander abweichen:
z.B. der Blaustrumpf (gelehrtes Frauenzimmer), die Tunte, das Weib

Genus und Sexus lassen sich also nicht gleichsetzen und die Realisierung von Sexus und Genus hängt stets vom jeweiligen Kontext ab:

a. Das Mädchen hat ihren Opa besucht.            Richtig
b. Das Mädchen ist eine begnadete Oboistin.    Richtig
c. Das Mädchen ist ein begnadeter Oboist.        Schlecht
d. Das Mädchen, die Oboe spielt, hat Talent.     Falsch

Vgl. Trutkowski / Weiß: Zeugen gesucht! S. 8 f

Weitere Beispiele, die zeigen, dass weder von Genus auf Sexus noch von Sexus auf Genus geschlossen werden kann.

Klassifikation von Nomen im Zusammenspiel von Genus und Sexus

worttabelle

Vgl. Trutkowski / Weiß: Zeugen gesucht! S. 9 f

 

Das generische Maskulinum

Als generische Formen werden Konstrukte bezeichnet, die unbestimmt, unmarkiert bleiben.

Beispiele:

   der Tag (schließt die Nacht mit ein)
   Der Vortrag ist 2 Minuten lang. (schließt „kurz“ mit ein)

generische Zeitform Präsens:
   Ich liebe den Sommer. Zwei mal drei ist sechs. (unmarkiert, allgemeine Aussage, ohne Zeitbezug)
Präteritum:
   Ich liebte meinen Hund. (Zeit ist markiert, der Hund ist tot)

Nomen
   Bundeskanzler (Amtsbezeichnung, nicht markiert, kann auch eine Frau sein)
   Bundeskanzlerin (eindeutig als Frau markiert)

Beispiele für die Bedeutungsunterschiede der Verwendung des generischen Maskulinums und Femininums:

   Hans ist Pilot. Maria auch. (allgemeine Berufsbezeichnung Pilot)
   Maria ist Pilotin. Hans auch (sexusmarkiert, Umkehrung ist nicht möglich)

   Lily ist eine Katze. Leo auch. (allgemeine Bezeichnung der Tierart)
   Leo ist ein Kater. Lily auch (sexusmarkiert, Umkehrung ist nicht möglich)
Vgl. Trutkowski / Weiß: Zeugen gesucht! S. 13 f

Eine Nicht-Markierung ermöglicht Aussagen, die unbestimmt und allgemein bleiben können.

ampel
Generische Formen ermöglichen allgemeine, unbestimmte und
knappe Aussagen und sind in einer Sprache von großer Bedeutung.

 

Das generische Maskulinum bildet eine Ableitungsmöglichkeit von Substantiven aus Verben:

   tragen – Träger; lenken – Lenker; halten – Halter; arbeiten – Arbeiter

Hier kommt es zu einem Interpretationsfehler, weil das generische Maskulinum aus sprachwissenschaftlicher Sicht in erster Linie eine effiziente, sprachlich tief verwurzelte Ableitungsmöglichkeit von Substantiven aus Verben ohne Geschlechterbezug darstellt.

Bei diesen neutralen Formen sind Frauen oder Männer dabei weder gemeint noch mitgemeint
Die weibliche Form wird durch die Hinzufügung der Endsilbe „–in“ deutlich markiert, während die männliche Form durch den Kontext oder zusätzliche Ergänzungen erst eindeutig spezifiziert werden muss:

   Träger – die Trägerin – der männliche Träger

Das generisches Maskulinum, oder unverfänglicher Standard-Genus bzw. Indefinitum genannt, ist ohne Personennennung und Kontextinformationen geschlechtlich unmarkiert und verweist damit auf gar kein natürliches Geschlecht.

Bau von Wörtern:

  • lehren        Verb
  • Lehrer        unmarkiertes Substantiv das von einem Verb mit -er abgeleitet wird, geschlechtsneutral
  • Lehrerin     markiertes Substantiv, das durch -in zusätzlich als weiblich bestimmt wird, geschlechtsspezifisch

Vorwurf der Gender-Gegner: feministische Linguistik der 80-iger Jahre

Wörter im generischen Maskulinum werden nicht mehr als geschlechtsneutral betrachtet, sondern als Bezeichnung von Personen männlichen Geschlechts: das Maskulinum wird sexualisiert.

  • Lehrer erhält die Bedeutung: lehrende Person und männlich
  • Lehrerin: lehrende Person und weiblich

Suffix "-in" tauscht die männliche gegen die weibliche Person aus. Es entstand nach diesem Verständnis keine speziellere Bedeutung (allgemein – zu weiblich), sondern lediglich ein Tausch der Geschlechtsmerkmale

Damit wird das generische Maskulinum nicht Allgemein sondern spezifisch männlich verstanden und die deutsche Sprache als männlich dominiert betrachtet, womit die weiblichen Protagonisten wiederum zusätzlich genannt werden müssen
Vgl. Eisenberg: Wenn das Genus mit dem Sexus, S. 24 f

generisch männlich weiblich
Im Rahmen von "gendergerechter Sprache" wird das generische Maskulinum
nicht mehr neutral verwendet, sondern sexualisiert.

 

Dass auf das generische Maskulinum nicht verzichtet werden könne, wird an ausgewählten Beispielen demonstriert:

Die begnadete Pianistin Anastassiya Dranchuk sagte zu der ihr drohenden […] Ausweisung: „Es ist das Todesurteil für einen Künstler.“ Und aus Pyeonchang kam die Nachricht: „Unsere Bobfahrer sind der Stolz der Nation.“ Zu den Bobfahrern gehören Frauen ebenso wie Männer.
Vgl. Eisenberg: Wenn das Genus mit dem Sexus, S. 27

Die Ableitungen von Substantiven aus Verben erfolgt in der Regel mit der Endung „-er“:  

   z.B. Bäcker, Lehrer, Schwimmer, Taucher, Läufer

Die Endung „-er“ findet sich aber auch in Wörtern für Geräte wie Entsafter, Mähdrescher, Bohrer, Kleber u.a oder für Kleidungsstücke wie Büstenhalter, Hosenträger aber auch in Wörtern wie Paarhufer, Walzer, Patzer u.a. zu, die sich nicht gendern lassen.

Maskuline Personenbezeichnungen sind nicht sexusmarkiert, sondern unmarkiert und bezeichnen kein Geschlecht, sondern sind allgemein gehalten und meinen beide Geschlechter mit.

Wer die Auffassung vertritt, in generischen Maskulina seien „die Frauen nicht mitgemeint“, verkennt eine elementare Funktion von Sprache: Sprache bezeichnet, Sprache meint nie irgendetwas. »Meinen« können nur Menschen.
Glück: Geschlecht und Schreibweise, S. 29

Josef Bayer verweist am Beispiel des Fragepronomens „wer“ dass „wer“ irreversibel maskulin Singular sei und dass mit diesem Pronomen trotz seiner Form immer auch Frauen und Gruppen von Menschen mit erfasst seien.

„Wer hat im Bad seinen Lippenstift vergessen?“ fragt mit hoher Wahrscheinlichkeit nach jemandem aus einer Gruppe von Frauen. „Wer hat im Bad ihren Lippenstift vergessen?“ bedeutet etwas völlig anderes, nämlich dass der Lippenstift einer explizit anderen Person gehört als derjenigen, nach der gefragt wird.  Das Beispiel des Fragepronomens „wer“ verweist schlaglichtartig auf ein gravierendes Missverständnis, das die gesamte Idee einer gendergerechten Sprache für das Deutsche durchzieht. Es ist die Verwechslung von Form und Inhalt."
Bayer: Sprachen wandeln sich immer, S. 48 f

 

Bedeutungsgruppen mit demselben Genus:

  • Bäume meist feminin: Eiche, Buche, Birke, Tanne, Fichte u.a.
  • Mineralien und Kristallen meist maskulin: Feldspat, Gneis, Schiefer, Achat, Kalk u.a.
  • Metalle meist neutrum: Gold, Silber, Eisen, Aluminium, Kupfer u.a.
  • Automarken meist maskulin: der BMW, Mercedes, Opel, Renault u.a.
  • Motorradmarken meist feminin: die BMW, Kawasaki, Honda u.a.
  • Käsesorten meist maskulin: Gouda, Gorgonzola, Parmesan u.a.

bäume fahrzeuge käse
Bestimmte Bedeutungsgruppen werden überwiegend einem bestimmten
Genus zugeordnet.

 

All diese Bezeichnungen mit einem bestimmten Genus haben nichts mit Sexus zu tun. Als Ungeeignet zum Gendern erweisen sich auch Zusammensetzungen mit einer Personenbezeichnung im Erstglied:

  - Henkersmahlzeit, Zigeunerbaron, Räuberpistole, Geiselnahme, Hexenhaus

Personenbezeichnungen die Sachbezeichnungen geworden sind:

  - Berliner (Schmalgebäck), Frankfurter (Wurst), Spätburgunder (Wein), Jägermeister (Getränk)

   Vgl. Glück: Geschlecht und Schreibweise, S. 30 f

Substantive können nicht nach dem Genus dekliniert werden, wohl aber in den Plural oder nach den Fällen:

  - Frau – Frauen; Kind – des Kindes

Andere Wortarten lassen sich nach dem Genus deklinieren, weil sie mit dem Substantiv, auf das sie sich beziehen übereinstimmen müssen:

  - Artikel, Adjektive, Pronomina und Partizipien

Das Substantiv zwingt seiner syntaktischen Umgebung sein Genus auf. Adjektive und Pronomen wurden deshalb zum Hauptinstrument des Genderns:

  Vgl. Glück: Geschlecht und Schreibweise, S. 31

„Das grassierende Gendern sexualisiert die Sprache, es missbraucht die Sprache. Denn die Sprache ist weder Männchen noch Weibchen. Zum „kleinen Unterschied“ trägt sie nur so viel bei, dass man über ihn sprechen und schreiben kann. Zum Schutz von Menschenrechten taugt das Gendern nicht. Es gibt Felder, auf denen es wirklich nötig ist, für die Rechte der Frauen einzutreten.“
Glück: Geschlecht und Schreibweise, S. 32

Der häufig zu findende Hinweis auf Assoziationstests eigne sich nicht, um die Grundbedeutung von Worten wie etwa Lehrer, Spion und Bürger zu verstehen.

   Bsp.: „Unter den Grundschullehrern gibt es zu wenig Männer.“
   Glück: Geschlecht und Schreibweise, S. 35

begrifftest
Auch wenn Test vermehrt bestimmte Assoziationen hervorrufen, ändert
sich nichts an der Grundbedeutung von Bezeichnungen.

 

Analoge Tests haben z.B. folgende überwiegende Assoziationen ergeben:

  • Möbelstück: Tisch
  • Musikinstrument: Geige
  • Farbe: rot

Trotz vermehrten Antworten ändert sich nichts an der Grundbedeutung von Möbelstück, Musikinstrument oder Farbe.

Peter Eisenberg lehnt die Forderung ab, dass das dritte Geschlecht ein sprachliches Korrelat haben solle oder müsse. Diese Sicht werde zwar von allen geschlechteridentitären Gruppen geteilt, sei aber sprachwissenschaftlich nicht haltbar. Damit werde eine Sexualisierung der Grammatik fortgesetzt, die bisher schon das grammatische Geschlecht Maskulinum auf „männlich“, das Femininum auf „weiblich“ fixieren will.

So würden bereits scheinbar einfache Forderungen nach Änderungen der Sprache, wie die Verwendung des Neutrums für das dritte Geschlecht, unabsehbare Konsequenzen nach sich ziehen.
vgl. Eisenberg: Wie viele dritte Geschlechter gibt es? S. 39 f

Eine Konsequenz betrifft die Verwendung substantivierter Partizipien und Adjektive. Aus „der/die Vorsitzende“ müsste werden „der/die/das Vorsitzende“ und aus „der/die Abgeordnete“ müsste werden „der/die/das Abgeordnete“. Schon solche einfachen Beispiele zeigen abermals: Das Neutrum eignet sich nicht für die strukturell geregelte Bezeichnung von Personen.
Eisenberg: Wie viele dritte Geschlechter gibt es? S. 41

Helmut Glück kritisiert in seinem Beitrag „Studenten sind nicht immer Studierende“ psychologische Studien, die das Verhältnis zwischen Sprache und Denken beweisen wollen. Diese liefern allenfalls Korrelationen, aber keine Kausalitäten oft auch einen Zirkelschluss. Getestet werden gesellschaftliche Berufsbilder und nicht die Wirkung grammatischer Formen.

Kritisiert wird auch die Verwendung des Partizip I für Genderzwecke. Dabei wird darauf hingewiesen, dass die Grundbedeutung des Partizip I die Gleichzeitigkeit sei.

Während ein Trinkender "gerade trinkt", ein Spielender "gerade spielt" und eine Studierende "gerade studiert", bezeichnen die Begriffe Trinker, Spieler und Studenten Personen, die diese Tätigkeit über einen längeren Zeitraum hinaus und gar nicht im Augenblick ausüben müssen.

  • Ein sterbender Studierender stirbt beim Studieren.
  • Ein sterbender Student kann beim Schlafen sterben.

Fehlschluss: Genus = Sexus, Form = Inhalt

So biete genderegerechte Sprache seiner Meinung nach vor allem Scheinlösungen für Scheinprobleme:

männlich weiblich divers
Die Forderung nach einem eigenen Korrelat für das "dritte Geschlecht"
ist sprachwissenschaftlich nicht haltbar.

 

„Eine durch Gender-Vorgaben gelenkte Sprache bedient durch den ständigen Hinweis auf weibliche Personen das reaktionäre Klischee der schutzbedürftigen Frau, die einer besonderen sprachlichen Fürsorge bedarf und passt damit nicht in unsere Zeit. Der Versuch, die Gesellschaft über Sprache zu ändern, fußt auf sprachmagischen Vorstellungen. Ihm fehlt darüber hinaus die demokratische Legitimation …“
Verein Deutsche Sprache: Warum nicht gendern? S. 3

Ewa Trutkowski und Helmut Weiß gehen in ihrem Beitrag „Seit 1000 Jahren können Frauen auch Sünder, Richter und Freunde sein“ der Geschichte der Verwendung des generischen Maskulinums nach. Dabei halten sie fest, dass es ein Irrtum sei, davon auszugehen, dass die generische, also geschlechtsunspezifische Bedeutung des Maskulinums erst entstanden sei, nachdem immer mehr Frauen in Männerdomänen bzw. vormals nur von Männern ausgeübten Berufen Eingang gefunden haben. So waren früher mit Bezeichnungen wie z.B. Nachbarn, Freunde und Sünder auch Frauen gemeint.

Auch die These, dass es sich beim generischen Maskulinum lediglich um eine Sprachkonvention, eine relativ junge Erscheinung handle, die nicht im grammatischen System verankert sei und daher rückgängig gemacht werden könne, weil es nur auf einer Übereinkunft beruhe, widersprechen Trutkowski und Weiß deutlich. Die Forschung liefere weder für die Behauptung der Konvention noch des geringen Alters beim generischen Maskulinum die geringsten Ansatzpunkte, vielmehr lasse es sich bereits in althochdeutschen und mittelhochdeutschen Schriften nachweisen.

Helmut Glück geht in seinem Aufsatz „Die Ersatzreligion der sprachlichen Anbiederung“ der historischen Dimension des Genus nach und bemerkt, dass Genus ein Mittel ist, den großen Bestand der Substantive zu ordnen und innerhalb der Nominalgruppe Kongruenz herzustellen, das heißt, dafür zu sorgen, dass Substantiv, Artikel, Adjektiv und Pronomen zusammenpassen. Die alten Griechen nannten dieses Mittel génos (von gígnomai „entstehen, werden“), die Römer genus, was „Familie, Geschlecht, Stamm“ oder „Gattung, Art, Sorte“ bedeutet.
Helmut Glück: Die Ersatzreligion, S. 43

  - génos (griech. von gignomai – „entstehen, werden“)
  - genus (latein. Römer): Familie, Geschlecht, Stamm oder Gattung, Art, Sorte

   - Genus bedeutet als grammatischer Terminus: Art, Sorte
   - Geschlecht: althd. slahta – Generation, Art, Ursprung

Als im 17. Jahrhundert deutsche Grammatiker Genus mit (grammatisches) Geschlecht übersetzten und den Artikel „Geschlechtswort“ nannten, wurde der Verwechslung zwischen Genus und Sexus Tür und Tor geöffnet. Vor allem weil die Genera nun auch noch männlich, weiblich und sächlich genannt wurden. Mit dieser Übersetzung wurde die Grammatik sexualisiert und ein Fachbegriff erhielt eine alltagssprachliche Zusatzbedeutung, die dem Streit über das generische Maskulinum in der Gegenwart zugrunde liegt.
Vgl. Helmut Glück: Die Ersatzreligion, S. 43

Maskuline Personenbezeichnungen auf „-er“ sind nicht in erster Linie sexusmarkiert, sondern bezeichnen Personen unabhängig vom Geschlecht: Ein Lehrerzimmer ist für Lehrer und Lehrerinnen da.

genus und sexus
Mit der Bezeichnung "Geschlechtswort" für den Artikel wurde Verwechslung
zwischen Genus und Sexus Tür und Tor geöffnet.

 

„Das generische Maskulinum ist das unmarkierte Genus für alle“
Helmut Glück: Die Ersatzreligion, 44

Dieser für den Satzbau wichtig Mechanismus regelt, dass das Maskulinum in einigen Fällen als bestimmendes Genus fungiert. z.B. Fragepronomen (Wer, Was), unbestimmte Pronomina (Jemand, Niemand) oder wenn ein Artikel zum Pronomen wird. Auch Wörter wie deswegen und indessen beruhen auf maskulinen, sexusneutralen Formen.

Das unmarkierte Genus bezeichnet kein (oder alle) Sexus, während das Femininum markiert ist und die zusätzliche Bestimmung weiblich hinzufügt:
Lehrerin (-in), Politesse (-esse), Friseuse (-euse), Prinzessin (doppelte Markierung!)

generische Substantive bezeichnen Personen aller denkbaren Geschlechter:

  • feminin: Frohnatur, Landplage, Knallcharge
  • maskulin: Putzteufel, Plagegeist, Wonneproppen
  • neutrum: Klatschmaul, Adlerauge, Hinkebein

       Vgl. Helmut Glück: Die Ersatzreligion, S. 44

Mit den Begriffen Heulsuse oder Zappelphilipp können sowohl Mädchen als auch Jungen bezeichnet werden.
Helmut Glück: Die Ersatzreligion, 44

Gegner des generischen Maskulinums begehen zwei Fehler:
Das generische Maskulinum bezeichnet kein Geschlecht (asexuelle Natur) und die Sprache ist ein Gemeingut, das nicht durch staatliche Eingriffe belästigt werden darf.

Vorgaben der amtlichen Rechtschreibung:

  • Ein Wort wird durch Leerstellen von Nachbarwörtern getrennt und identifizierbar.
  • Innerhalb von Wörtern dürfen nur Klammern oder Schrägstriche verwendet werden:
  • Bsp. Förster(in), Förster/in)
  • Binnen-I und „Genderstern“ – FörsterIn, Förster*in verstoßen gegen diese Regel
  • Staatsbehörden müssen sich an die amtliche Rechtschreibung halten
  • Gender Mainstreaming verfolgt das Streben nach politischer Korrektheit. Gleichheit und Gerechtigkeit sollen durch Sprachregelung erreicht werden, durch Gebote und Verbote, dabei werden die Erkenntnisse der Grammatikforschung beharrlich ignoriert. Es geht um Glauben, nicht um Wissen.

Sprache ist keine moralische Anstalt. Mit Sprache kann Respekt, Höflichkeit und Zuneigung ausgedrückt werden aber auch Abneigung, Unhöflichkeit und Respektlosigkeit. Vgl. Helmut Glück: Die Ersatzreligion, S. 46

rat für deutsche rechtschreibung falschbeispiele
Rat für deutsche Rechtschreibung, Geschlechtergerechte Schreibung:
Orthografisch nicht normgerechte Wort- und Satzbildungen

 

Der Verein deutsche Sprache kritisiert an der „Genderbewegung“, dass mit der Bezeichnung „geschlechtergerecht“ oder „geschlechtersensibel“ ein Framing erfolge, indem eine Unterstellung oder – schärfer formuliert – eine emotionale Erpressung stattfinde, wo die Nutzer der „gewachsenen Sprache“ als ungerecht oder unsensibel stigmatisiert würden.

„Bereits die Bezeichnung geschlechtergerecht oder geschlechtersensibel beinhaltet eine Unterstellung (ein Framing) oder – schärfer formuliert – eine emotionale Erpressung, indem die Nutzer der gewachsenen Sprache als ungerecht oder unsensibel stigmatisiert werden. Gerechtigkeit oder Sensibilität sind jedoch Kategorien, die das Sprachsystem nicht kennt. Es wird gemutmaßt, dass sich Lebensverhältnisse durch Sprachvorgaben verbessern ließen, obwohl Begrifflichkeiten die Sache selbst nicht ändern.“
Verein deutsche Sprache: Warum nicht gendern? S. 1

Oft angeführte psychologische Studien, die das Verhältnis zwischen Sprache und Denken beweisen sollen, würden allenfalls Korrelationen, aber keine Kausalitäten und oft auch nur einen Zirkelschluss liefern. Getestet würden gesellschaftliche Berufsbilder und nicht die Wirkung grammatischer Formen. Für den Linguisten Josef Bayer spielen die Universitäten für die Förderung gendergerechter Sprache eine zentrale Bedeutung. Dabei würden die Vorschläge für die gendersensible Gestaltung von Dokumenten weniger von Seiten der Linguistik als aus den Referaten für Gleichstellung kommen.
Vgl. Josef Bayer: Sprachen wandeln sich immer, S. 47 f

Helmut Glück kritisierte in seinem Beitrag „Die Ersatzreligion der sprachlichen Anbiederung“ das Gendern in Veröffentlichungen der Stadt Hannover mit scharfen Worten:

„Der Vorgang gehört in den Zusammenhang des Strebens nach politischer Korrektheit. Dabei geht es im Wesentlichen um Sprachliches: Gleichheit und Gerechtigkeit sollen dadurch erreicht werden, dass an Wortschatz und Grammatik herumreformiert wird, indem Gebote und Verbote ausgesprochen werden.
Das Gender Mainstreaming hat den Charakter einer säkularen Religion angenommen. In Hannover hat sie eine ganze Stadtverwaltung befallen. Ihre Vertreter ignorieren die Erkenntnisse der Grammatikforschung beharrlich. Strukturelle Analysen zum Maskulinum als generischem Genus sind für sie verstockter Unglaube. Sozialpädagogische Gerechtigkeitsmythen und moralische Überheblichkeit ersetzen ihnen wissenschaftliche Analysen. Es geht um Glauben, nicht um Wissen. Und niemand zieht zuverlässiger die Wut der Gläubigen auf sich als der Häretiker. Den Verfechtern des Genderns geht das ab, was Wissenschaft erst möglich macht: Skepsis.“
Helmut Glück: Die Ersatzreligion, S. 46

 

>> Wie "geschlechtergerecht" kann Sprache sein? – Teil 1
>> Wie "geschlechtergerecht" kann Sprache sein? – Teil 3



Quellen:

 

Weiterführende Links:

 

Andreas Markt-Huter, 30-05-2023

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