Oliver Scherz, Sieben Tage Mo
„Ich hielt an, wischte mir den Schweiß aus dem Gesicht und schaute gebannt auf die schwarz-graue Wolkenwand. Da ahnte ich noch nicht, wie sehr mich die nächsten Tage durcheinanderbringen würden. Dass es mir vorkommen sollte, als würde mich ein Wirbelwind in die Luft drehen, bis ich mich selbst nicht mehr richtig verstand …“ (S. 24)
Der zwölfjährige Karl und sein Bruder Moritz, genannt Mo, sind zwei ungleiche Zwillingsbrüder. Mo ist mit einer geistigen Behinderung zur Welt gekommen, nachdem ihm bei der Geburt durch seine Nabelschnur die Luft abgeschnürt wurde. Seit ihre Mutter wieder zur Arbeit geht, kümmert sich Karl um seinen Bruder, wenn beide wieder aus der Schule zurück sind.
Karl liebt seinen Bruder, doch wird ihm die Last und große Verantwortung sich um ihn zu kümmern, mitunter zu groß. Immer wieder gerät Mo durch sein Verhalten in Schwierigkeiten und Gefahr. Einmal spaziert Mo auf dem Bahngleis entlang und kann nur knapp von Karl gerettet werden, der zu dieser Zeit nicht mit einem Zug gerechnet hat. Ein andermal bringt er die Kühe auf dem nahegelegenen Bauernhof dermaßen auf, dass der meist übelgelaunte Bauer angestürmt kommt.
Am meisten leidet Karl darunter rund um die Uhr an seinen Bruder gekettet zu sein und nicht mit den anderen Mitschülern spielen zu können. Auch fühlt er sich von seiner Mutter immer in die zweite Reihe gestellt, weil sich immer alles nur um Moritz zu drehen scheint. Dann nagt wieder sein schlechtes Gewissen an ihm, weil er weiß, dass er selbst an der Stelle seines Bruders sein könnte. Doch die beiden haben auch schöne und unterhaltsame Momente miteinander und Karl ist sich nicht sicher, ob er mit seinem Schulfreund Hannes tauschen möchte, der zwar keine Verpflichtungen kennt, bei dem Zuhause es aber unangenehm still und die Stimmung ziemlich kühl war.
In der Schule gelingt es Karl auf dem Gang mit Nida, einer Schülerin aus der Parallelklasse auf die er schon lange geworfen hat, ins Gespräch zu kommen. Ein paar Tage später verabreden sich die beiden zum Schwimmen im See. Doch ausgerechnet an diesem Tag kann niemand außer Karl auf Mo aufpassen. Karl beschließt, seinen Bruder mit fernsehen zu beschäftigen und kurz allein zurückzulassen. Beim Schwimmen mit Nida verliert Karl den Alltag völlig aus seinen Gedanken, bis ihn sein Bruder mit einer Hiobsbotschaft wieder in die Realität zurückruft.
„Ich hab jemand tot gemacht!! Ich hab jemand tot gemacht!!“ (S. 118)
„Sieben Tage Mo“ erzählt die Geschichte zweier Brüder, deren Leben eng miteinander verbunden ist. Dabei sind die Rollen klar verteilt, sodass einer der beiden in den Hintergrund gedrängt wird und seine Bedürfnisse ständig hintanstellen muss. Als ein Unglück passiert, brechen zahlreiche Dinge auf, die im hektisch Alltag untergegangen sind.
Ein überaus lesenswerter Kinderroman der sich auf einfühlsame und berührende Weise mit dem Thema Behinderung und den Auswirkungen auf das Familienleben auseinandersetzt. Die Geschichte überzeugt durch ihre stark gezeichneten Charaktere und ihren warmherzigen und toleranten Umgang, ohne die Lebensrealität beschönigen zu wollen.
Oliver Scherz, Sieben Tage Mo. Ill. v. Philip Waechter, ab 11 Jahren
Stuttgart: Thienemann Verlag 2023, 176 Seiten, 16,95 €, ISBN 978-3-522-18648-3
Weiterführende Links:
Thienemann Verlag: Oliver Scherz, Sieben Tage Mo
Wikipedia: Oliver Scherz
Wikipedia: Philip Waechter
Andreas Markt-Huter, 27-02-2024