Cornelia Franz, Goldene Steine
„Die beiden Typen standen vor ihm, als wären sie aus dem Nichts aufgetaucht. Sie mussten sich hinter dem Altglascontainer versteckt haben. »Da ist er ja«, sagte der Kleinere der beiden. Leon guckte verunsichert. Hatten die auf ihn gewartet? »Wie läufst du hier eigentlich rum, du Jude?« Der andere, ein Honk mit einem grottenhässlichen Tattoo am Hals, grinste ihn an. Und zack, riss er ihm die Mütze vom Schädel – das witzige kleine Käppi, das er selbst vor einer Woche einem Typen vom Kopf gezupft hatte …“ (S. 8)
Drei Jugendliche, die auf unterschiedliche Weise Erfahrungen mit Antisemitismus gemacht haben, lernen einander kennen und entwickeln schnell eine intensive Freundschaft. Dabei lernen sie viel über Hass aber auch über Freundschaft und sich selbst.
Die dreizehnjährige Yara ist alles andere als begeistert, dass sie mit ihren Eltern in einen anderen Stadtteil Hamburgs übersiedeln soll. Auch wenn sie die gleiche Schule weiterhin besuchen kann, fehlt ihr doch das Haus mit den drei goldenen Steinen im Pflaster, die ihr als kleines Kind immer als Schatz des Hauses erschienen sind. Von ihrer geliebten alten Nachbarin, der über 90-jährigen Frau Winter, erfährt sie, was es mit diesen Steinen auf sich hat. Es handelt sich um Gedenksteine, Stolpersteine die an ihre beste Freundin Ella Cohen und ihre Eltern erinnerten, die mit nur elf Jahren von den Nationalsozialisten abgeholt worden und nie mehr gesehen wurden.
Leon, einer von Yaras neuen Nachbarn, begegnet auf dem Nachhauseweg zwei Schlägertypen, die ihn für einen Juden halten, weil er eine Kippa trägt. Diese hat Leon in Frankfurt vor einer Woche nur zum Spaß jemandem vom Kopf gezupft. Die Schlägertypen halten Leon, der die Kippa aus reinem Vergnügen trägt, für einen Juden und schlagen ihn brutal nieder. Nikolai entdeckt den am Boden liegenden Leon und will ihm helfen. Als er die Stelle erreicht, ist Leon verschwunden, nur die Kippa bleibt zurück.
Nachdem der fünfzehnjährige Nikolai endlich sein erstes Fahrradbekommen hat, kämpft er auf der eisglatten Straße mit dem Gleichgewicht. Yara erkennt ihren neuen Nachbarn gleich wieder und kommt mit ihm ins Gespräch. Leon lernt sie bei einem Kletterkurs kennen, für den sie sich angemeldet hat. Dabei erfährt sie, dass er niedergeschlagen worden ist. Als die beiden vor dem Haus auf Nikolai treffen, will dieser Leon rasch seine Kippa zurückgeben. Im folgenden Gespräch muss Leon zu seiner Schande gestehen, dass er diese einem Fremden vom Kopf gestohlen hat.
Nikolai erkennt, dass die beiden Schlägertypen eigentlich ihm auflauern wollten, obwohl eigentlich niemand wissen konnte, dass er Jude war. Er erzählt seinen neuen Freunden von seiner Familie, seiner ängstlichen Mutter und wie es ist, als Jude gehasst zu werden. Sie beschließen Leons unbedachte Tat wieder gut zu machen und den Besitzer der Kippa in Frankfurt ausfindig zu machen.
Mit viel Einfühlungsvermögen nähert sich Cornelia Franz in ihrem Jugendroman „Goldene Steine“ dem Thema Antisemitismus an. Durch einen geschickten Aufbau der Handlung vermittelt sie den jungen Leserinnen und Lesern die Auswirkungen des Antisemitismus in der Vergangenheit und Gegenwart. Dabei kommt der Holocaust ebenso zur Sprache wie die Bedrohung jüdischer Menschen in der Gegenwart.
Ein eindrucksvolles Jugendbuch über Freundschaft und Zusammenhalt, in dem die bedrückenden Auswirkungen von Judenfeindlichkeit altersgerecht und anschaulich aufgezeigt werden. Am Beispiel der drei sympathischen Protagonisten gelingt es, sich einem schwierigen Thema einfühlsam, in eine spannende Geschichte verpackt, emotional anzunähern.
Cornelia Franz, Goldene Steine. Ab 12 Jahren
Hamburg: Carlsen Verlag 2024, 224 Seiten, 14,40 €, ISBN 978-3-551-58517-2
Weiterführende Links:
Carlsen Verlag: Cornelia Franz, Goldene Steine
Wikipedia: Cornelia Franz
Andreas Markt-Huter, 14-05-2024