Jordan Iwantschew, Die Farben des Grauens

Buch-Cover

Der Zustand einer Gesellschaft lässt sich meist während der kurzen Handbewegungen des Frühstücks ausmachen. Mangel oder Überfluss, Überlebensgedanken oder soziales Kopfweh, beim Frühstück ist eigentlich der Tag gelaufen.

In Jordan Iwantschews Roman ?Die Farben des Grauens befinden wir uns schon nach zwei Absätzen mitten in der Hölle. Mit viel Glück bastelt der Philosoph Veselinov aus der Glut des Vortags eine Morgengrütze, es heißt Streichholz sparen, er und sein Sohn Christo freuen sich darüber mehr als über das Frühstück, das aus nichts besteht.

In einem Vorort von Sofia ist der Weltuntergang ausgebrochen, die öffentliche Ordnung hat sich verabschiedet, Banden töten wahllos halbverhungerte Passanten, die auf der Suche nach Lebensmittel sind. Mit Sprengfallen schützt der eine oder andere noch seine letzte Habe und sprengt sich dann selbst in die Luft.

Der Ausweg aus dem Desaster heißt Westen. Dort soll es funktionierende TV-Geräte, Autos und Essen geben. Niemand macht sich freiwillig auf die Flucht, es braucht zumindest ein Gerücht, wo es besser sein könnte, und einen entsprechenden Leidensdruck, dass man eine Flucht mit ungewissem Ausgang antreten wird.

Der Philosoph und sein Sohn sowie ein befreundeter Profifußballer schlagen sich mit einer Rikscha Richtung Grenze. Erst jetzt sehen sie, wie aufgelöst das Land ist. Ganz in der Machart mittelalterlicher Clans und Wegelagerer werden sie mehrmals überfallen, gefoltert und entkommen nur knapp dem Tod. Am Ende plumpsen die Überlebenden über den Zaun der Autobahn und fallen in den Westen. Es ist freilich noch nichts darüber gesagt, ob dieses Leben ein besseres sein wird.

Jordan Iwantschew zeigt mit seinem ?Desaster-Roman, dass es sehr schnell gehen kann, dass sich die öffentliche Ordnung auflöst. Und was dann zum Vorschein kommt, ist die pure Barbarei, aus der es letztlich kein Entkommen gibt. Auch die Berufswahl seiner Protagonisten ist bemerkenswert, der Profifußballer glaubt, in jedem System mit dem Kicken sein Geld verdienen zu können, während er Philosoph vor allem das Gefühl hat, angesichts des Chaos völlig unnütz zu sein. Einzig das Kind hat den richtigen Beruf, denn Kind heißt immer Zukunft.

Der Westen als verbunkertes Paradies hinter der Autobahn trägt durchaus höllische Züge in sich, vielleicht ist er nur eine besser organisierte Form des Weltuntergangs. - Ein tatsächlich grauenhafter Roman, der völlig realistisch wirkt. Manches liest sich wie eine Survival-Anleitung, die man vielleicht selbst demnächst gebrauchen kann.

Jordan Iwantschew, Die Farben des Grauens. Roman. A. d. Bulgar. von Barbara Beyer. [Orig. Plovdiv 1995].
Berlin: edition Balkan Dittrich 2011. 184 Seiten. EUR 16,80. ISBN 978-3-937717-57-29

 

Helmuth Schönauer, 04-12-2011

Bibliographie

AutorIn

Jordan Iwantschew

Buchtitel

Die Farben des Grauens

Originaltitel

Plovdiv

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2011

Verlag

edition Balkan Dittrich

Übersetzung

Barbara Beyer

Seitenzahl

184

Preis in EUR

16,80

ISBN

978-3-937717-57-2

Kurzbiographie AutorIn

Jordan Iwantschew, geb. 1949 in Burgas, lebt in Sofia.

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