Beppo Beyerl, Die alten Leiden der Frau Hermi

Buch-Cover

Wenn man die wahre Kultur einer Gesellschaft entdecken will, muss man zu ihren Bewohnern hautnah in die Wohnung kriechen.

Beppo Beyerl fühlt in seiner Erzählung ?Die alten Leiden der Frau Hermi einer gewissen österreichischen Durchschnittsstimmung auf den Zahn. Die Frau Hermi im Wiener Gemeindebau ist vollgestopft mit Vorurteilen, die sie offensichtlich regelmäßig aus der Krone nachschürt. Da ihr Leben aus Leiden besteht, ist sie auf die Mithilfe anderer Menschen angewiesen. Sinnigerweise kommen diese Helferinnen und Helfer meist aus einer anderen Kultur, so dass Hermi quasi täglich eine Ausnahme von ihren Vorurteilen machen muss, um diese fremde Hilfe zu ertragen.

In Beppo Beyerls Erzählung treten rund um die Hermi vom Gemeindebau zwei Menschen in Erscheinung, der tschechische Masseur Jíri und die serbische Putzfrau Draga. Sie pflegen Leib und Wohnung der Hermi, müssen sich täglich abstruse Geschichten anhören und träumen von einem beschwerdefreien Leben in ihren Heimatländern.

Zu einem Kriminalfall entwickelt sich die Pflege-Story, als ein Sparbuch mit einer passablen Summe unter einem Zeitungsstoß auftaucht. Als nun auch noch das Losungswort enträtselt ist, entflammt ein Kampf um das Sparbuch. Klauen oder nicht klauen, entwenden und abhauen, einen Teil abzwacken und verschwinden - die Versuchung ist grenzenlos.

Gegen Ende löst sich die Geschichte, wie so oft in österreichischen Biographien, biologisch.

Beppo Beyerl hat vor allem zwei Perspektiven im Auge. Einmal ist es der kulturelle Elchtest, zwischen den Vorurteilen und dem Alltagsbetrieb kommt die Wahrheit zu Tage. Zum anderen ist es die Frage von Identität, Bildung, Gerücht und Aufklärung. Wie kann man eine Geschichte aus dem Gemeindebau authentisch erzählen, ohne als Erzähler nicht selbst korrumpiert und blind zu werden?

Beppo Beyerl löst diesen Wirrwarr elegant. Die Geschichte wird nämlich anhand eines verschenkten Tagebuchs und eines angezapften Mailverkehrs aufgerollt. Mit diesem Trick lassen sich die seelischen Zustände der Helden ungeschminkt darstellen. Und wenn sich der Mensch mit seinem Tagebuch oder der PC-Maus alleine glaubt, lässt er oft wirklich die Sau heraus und spricht die Wahrheit.

In diesen Alltagsbetrieb sind naturgemäß viele Feinheiten und Weisheiten versteckt. Die beiden Kulturfiguren sind hochsensibel in der Fremde als Masseur und Putzfrau gelandet. Wenn bei Jiri die Nerven der Identität blank liegen, liest er meist ein Stück Bohumil Hrabal, und das Absurde lässt sich in Worte fassen. Ebenso ergeht es der Putzfrau Draga, die sich als Übersetzerin in die geheimnisvollsten serbischen Schriften und Rituale versenkt. Als postmoderne Figur soll sie sogar das Buch "Von der Paniglgasse zur Pinaglgasse" eines gewissen Beppo Beyerl übersetzen. (136)

Krimi, Kultur, Kalauer, Krone und Kohle - die alten Leiden der Frau Hermi haben es in sich!

Beppo Beyerl, Die alten Leiden der Frau Hermi. Erzählung.
Wien: Edition Mokka 2011. 161 Seiten. EUR 17,50. ISBN 978-3-902693-28-0.

 

Helmuth Schönauer, 03-01-2012

Bibliographie

AutorIn

Beppo Beyerl

Buchtitel

Die alten Leiden der Frau Hermi

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2011

Verlag

Edition Mokka

Seitenzahl

161

Preis in EUR

EUR 17,50

ISBN

978-3-902693-28-0

Kurzbiographie AutorIn

Beppo Beyerl, geb. 1955 in Wien, lebt in Wien und Vitis.