Jochen Jung, Venezuela

Buch-CoverMein Vater war ein Nazi! - So beginnen mittlerweile tausende Aufarbeitungsromane und dieser Satz ist längst zum schönsten in der deutschen Gegenwartsliteratur gekrönt worden. Aber Jochen Jung gehört dieses mal nicht zu den üblichen Autoren, die sich die Vergangenheit vom Leib schreiben, er nimmt diese literarischen Aufarbeitungsmythen selbst zum Thema für eine Groteske.

Im kleinen Venezuela-Roman wird das Groteske doppelt behandelt, einmal als Thema und dann in der Vorführweise. Die Geschichte wird nämlich nicht erzählt sondern am Nasenring vorgeführt.

Der Ich-Erzähler Sohn erzählt vom seltsamen Treiben des Vaters Guzman, der als Gynäkologe auf einem Nazi-Fliegerhorst stationiert ist und dort statt der üblichen weiblichen Geschlechtsorgane plötzlich kaputte Zipfel zu sanieren hat. Dieses Idealgebiet für einen Widerstandskämpfer muss er allerdings verlassen, als er mit der Frau des Generals eine kleine genitale Szene hinlegt und am Horst im schlechten Sinne auffliegt. Bei der notwendigen Flucht hilft ihm der Fliegerheld Udet. Für die Flucht braucht man vor allem eines: ein Ziel, das einem jäh in den Sinn kommt, in diesem Falle Venezuela.

Nach den üblichen Schwierigkeiten mit Notkoffer und Notgeld taucht Guzman tatsächlich in der deutschen Kolonie in Venezuela auf und muss sich entscheiden, wie deutsch er nun eigentlich sein muss, ohne eine politische Gesinnung an den Tag zu legen. Denn stündlich kann sich die politische Großwetterlage ändern und die Flucht müsste von neuem beginnen, wenn man sich zu weit aus den politischen Koordinaten hinauslehnt.

Aber ein Gynäkologe ist letztlich ziemlich unpolitisch und überall gerne gesehen, weil ständig Kinder auf die Welt kommen. Guzman freilich muss die Erfahrung machen, dass er im Gebärrevier eines Kollegen wildert und muss sich erst behaupten. Irgendwo kommt dann auch der Erzähler auf die Welt und fasst die Ereignisse in diesem kleinen Roman zusammen.

Jochen Jungs kleiner Roman ist eine große freche Sache, denn die Mythen Naziflucht, Deutsche im Dschungel oder Albert Schweitzer zwischen den Gebärschenkeln des Urwalds werden süffisant aus ihren literarischen Urnen gesogen und fein zerstäubt.

Jochen Jung: Venezuela. Ein kleiner Roman.
Innsbruck: Haymon 2005. 127 Seiten. EUR 15,90. ISBN 3-85218-485-1.

 

Helmuth Schönauer, 14-09-2005

Bibliographie

AutorIn

Jochen Jung

Buchtitel

Venezuela

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2005

Verlag

Haymon

Seitenzahl

127

Preis in EUR

EUR 15,90

ISBN

3-85218-485-1

Kurzbiographie AutorIn

Jochen Jung, geb. 1942 in Frankfurt, lebt in Salzburg.

Themenbereiche