Jonathan Safran Foer, Extrem laut und unglaublich nah

Buch-CoverNeunjährige ticken anders, auch wenn sie frühreife Genies sind. In Jonathan Safran Foers Roman gibt es daher viele leere Seiten, Seiten mit nur einem Satz drauf, und Bilder, die auf den ersten Blick ziemlich verworren sind.

Extrem laut und unglaublich nah ist die Kurzbeschreibung für die generelle Wahrnehmung des neunjährigen Oskar Schell. Er trommelt sich wie in Günter Grass Roman als Oskar mit seiner Blechtrommel durch New York und sucht seinen Vater.

Nichts ist im Lot, das hängt vielleicht auch mit der Eigeneinschätzung zusammen, immerhin ist der Knirps Erfinder, Designer und so etwas wie Zukunftsforscher. Wenn ihm danach ist, kann er beispielsweise ein biologisch verrottbares Auto erfinden oder eine Stretchlimousine, welche vom Start bis ins Ziel der Reise reicht.

Als Genie korrespondiert der Held in Manier eines Pfiffikus mit Stephen Hawking, dieser hat zwar kaum Zeit, schreibt aber am Schluss einen ergreifenden Brief. Letztlich gibt es zu allen Problemen einen Schlüssel, weshalb ganze Schlüsseltheorien aufgestellt werden, also etwa alle zwei Sekunden entsteht irgendwo in New York ein Schloss mit dem passenden Schlüssel dazu.

Bei der Suche nach dem Vater freilich will kein Schloss passen. Spuren führen zu verrückten Personen, die letztlich nicht weiter wissen, aber auch in Alltagsbegebenheiten können Schlüssel verborgen sein. So schreibt beispielsweise fast jeder, der einen Filzstift ausprobiert, den Namen jener Farbe auf das Übungspapier, die aus dem Stift rinnt.

Ab und zu tauchen Erinnerungspapiere auf, Vater hat offensichtlich an den künftigen Sohn geschrieben, und wer im vergangenen Jahrhundert stöbert, kommt automatisch auf eine Begebenheit aus Nazideutschland, die Großeltern wurden offensichtlich in Dresden ausgebombt und haben sich von diesem Schock nicht mehr erholt.

Am Schluss taucht dann noch ein Alter-Ego auf und löst die offenen Fragen durch das pure Gegenteil. Nach dieser Lesart ist der Vater beim Nine-eleven in einem der beiden Towers zu Tode gekommen. Der Roman fließt schließlich in einer umgedrehten Bildserie aus, wobei die stürzende Figur nach oben fliegt.

Jonathan Safrans Roman ist einerseits kühn, drall und voller Fliehkräfte, welche die Wahrnehmung des Lesers an das im Titel ausgerufene "extrem laut und unglaublich nah" heranführen. Andererseits spielt der Text auch mit übernaiven Wahrnehmungsmustern, was vielleicht damit zusammenhängt, dass es nicht leicht ist, ein Genie zu beschreiben, wenn die Sprache dafür sehr trivial ist. So bleibt der Held Oskar etwas altklug, hybrid und leicht hysterisch in den eigenen Bildern zurück, eine Art Sekundär-Harry-Potter, für dessen Auftritt es nur in der Vorabendserie gereicht hat.

Jonathan Safran Foer: Extrem laut und unglaublich nah. Roman. A. d. Engl. von Henning Ahrens. S/W-Abbildungen. [Orig.: Extremely loud and incredibly close.]
Köln: Kiepenheuer & Witsch 2005. 436 Seiten. EUR 23,60. ISBN 3-462-03607-6.

 

Helmuth Schönauer, 19-10-2005

Bibliographie

AutorIn

Jonathan Safran Foer

Buchtitel

Extrem laut und unglaublich nah

Erscheinungsort

Köln

Erscheinungsjahr

2005

Verlag

Kiepenheuer & Witsch

Seitenzahl

436

Preis in EUR

EUR 23,60

ISBN

3-462-03607-6

Kurzbiographie AutorIn

Jonathan Safran Foer, geb. 1970, lebt in New York.

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