Katharina Faber, Mit einem Messer zähle ich die Zeit
Der Buchtitel sagt es ja schon messerscharf, worum es geht. Die Zeit lässt sich nicht zähmen, gebärdet sich wie wild, sticht wie ein Messer gleichmäßig auf Beteiligte und Unbeteiligte ein und lässt sich nur vom Rand der Anteilnahme aus in Verwundungen und Einstichen messen.
Die sechsundzwanzig Geschichten handeln von der Liebe, von rasenden Herzensbewegungen, verwundeten Wesen, welche wie Tiere im Zeitkäfig herumirren, zeitlos ortsungebunden. Katharina Faber sticht mit hastigen Abwehrbewegungen in das Thema, kaum noch, dass die Geschichte erkennbar ist, meistens sind es lyrische Attacken, welchen die Figuren ausgesetzt sind.
Im Turm von Brasow etwa hat sich die Liebe zur Fledermaus gewandelt, halb Dracula, halb Nachttier flattern die Gefühlsschemen durch den Turm, der jetzt ein Büroturm wird, nein es ist ein Hotel, und im Spiegel sind die Fledermäuse unsichtbar, ganz Dracula.
In einer anderen Sequenz greift ein Paar immer falsch und es lässt sich keine innige Umarmung herstellen, mal greift der Mann an die Hüfte, dann auf den Po und an die Schulter, aber nichts passt, wahrscheinlich, weil das Paar nicht zusammenpasst.
Das Gefühl der Liebenden schlägt manchmal um in puren Kannibalismus der Zeit. Der Verzehr ist vollkommen, alles wird aufgegessen bis auf die Knochen, die man abgenagt zur Seite legt, während vielleicht das Schulterblatt gegen die Dämmerung sticht.
Im Wortschutt, im Geröll der Sätze" tummeln sich die Liebenden als Echsen mit lidlosen Blicken, die Augen sehen rot vor Weinen, wir müssen am Leben bleiben, um uns ins Wort zu fallen. (29)
Elegie heißt auf deutsch verschmiert vor dem Spiegel zu stehen, es ist schon möglich, ohne dich zu leben, so klingen die Texte langsam aus im Schlamm von Bedeutungen, die letztlich nie gemeint waren.
Den Schlusspunkt setzt die obligate Hymne an Marina Zwetajewa. Diese russische Dichterin gilt als der Ingegriff und die Inbrunst der Liebe und des Verzehrs, ihr wird ein erfundenes Gedicht in den Mund gelegt wie jene Münze, die der mythologische Fährmann den Toten bei ihrer Überstellung ins Totenreich in den Mund legt.
Katharina Faber erzählt heftig, verdichtet, ausgeklinkt aus jeglicher Handlung, die Figuren sind erstarrt zu grobporigen Gebilden, die in ihren eigenen Gefühlen glühen.
Hast du gemerkt, wie das Alter kommt: Du suchst dein Zeugs zusammen und findest plötzlich ein Messer - du zählst alle Stunden und Tage zu einer einzigen großen Nacht und ritzt in den weißen Kalk der Wände immer wieder und Nacht für Nacht die falschen Ziffern deiner kranken Zeit.(208)
Ein Buch, nichts für Liebende, während sie einander noch lieben, aber für später, wenn die Gefühle verkohlt sind.
Katharina Faber: Mit einem Messer zähle ich die Zeit. Über Liebende.
Zürich: Bilger Verlag 2005. 223 Seiten. EUR 19,80. ISBN 3-908010-74-8.
Helmuth Schönauer, 21-11-2005