Ilse Kilic, Vom Umgang mit den Personen

Schon vom Cover glänzen die Bausteine für diese wunderbare Schöpfungsgeschichte herunter. Man nehme viel Sonne, ein Dreieck für Bauch und Brust, einen möglichst kugelrunden Kopf und ein paar Streifen für die Gliedmaßen. Fertig ist die Person.

Im Baukastensystem geht es dann in der Schöpfungsanleitung von Ilse Kilic weiter. Natürlich dreht sich der Großteil der Bauanleitung um die Hauptperson, welche die Leserschaft aus dem vorgefertigten Material zusammenbasteln kann. Bestandteile, Geschichte, Verwendung, wahrscheinliche Härte, Reparatur oder Temperatur der Hauptperson sind die wichtigsten Stationen beim Betreiben der Hauptfigur.

Denn der Leser ist aufgerufen, aus seiner Erfahrung mit alten Lesebüchern, Gesetzestexten und Bastelanleitungen eine handfeste Person bestehend aus purer Fiktion zu schaffen.

Ganz spielerisch ernst sind den Kapiteln immer wieder konkrete Aufgabenstellungen angefügt: „Nimm einen kleinen Löffel Essigmutter und genieße die Wirkung!“ (36) oder „Suche zusammengesetzte Worte, in denen Knall und Fall vorkommt!“ (83)

Ein Blick auf die Nebenperson und ein Anhang, worin Sonderfälle wie Tiere als Hauptperson oder Zweckoptimismus abgehandelt werden, vollendet diese exquisite Gebrauchsanweisung für die perfekte Handhabung von Fiktion.

Ilse Kilic erzählt mit den Mitteln des ausgereiften Lehrbuchs ironisch klar, wie letztlich alles ein Fake ist, was uns als Literatur unterkommt. Der Umgang mit Personen ist in Literatur, Politik, Pädagogik oder Polizeiwesen etwa gleich gestaltet. Jemand muss das Ruder in die Hand nehmen und nach klaren Vorgaben Bewegungen oder Handlungen ausführen in der Hoffnung, dass dabei das Richtige herauskommt.

Dabei wird die Literaturwissenschaft zu einem Labor, in dem nach geheimnisvollen Rezepturen etwas zusammengemischt wird. Andererseits stülpt sich aus einer gewöhnlichen Haushaltsküche oft durchaus eine göttliche Schöpfung, es wird quasi aus dem in einem sechsgängigen Menü die Welt erschaffen und der Sonntag wäre nach dieser Lesart das Bäuerchen, das jeder Herrgott einmal ablassen muss.

Nicht umsonst endet das wunderbare Lehrbuch zur Schöpfung und Selbstschöpfung mit einer Ausfransung über den Zweckoptimismus. Selbst Autorinnen und Autoren können in Zweckoptimismus verfallen, heißt es abschließend, „in einfachen Fällen lösen sich Verwicklungen nach der Drucklegung des Buches“. (109)

Ilse Kilic: Vom Umgang mit den Personen. Eine Schöpfungsgeschichte.
Klagenfurt: Ritter 2005. 109 Seiten. EUR 13,90. ISBN 3-85415-376-7.

Helmuth Schönauer, 24-11-2005