Hubert Flattinger, Als ich Lord Winter war

Buch-CoverEs gibt Texte, die dem Fass der Gattung entsprungen und ohne Umhüllung etwas Eigenes sind, am ehesten mit einer Lacke ausgeronnener Flüssigkeit zu vergleichen. In Hubert Flattingers Trance-Text über seltsame Helden verschwinden die Grenzen zwischen Gelesenem und Erlebtem.

Der Erzähler macht sich anscheinend auf, Astrid Lindgren zu besuchen, die Traumfrau aller Fiktionen. Er fährt nach Stockholm, vielleicht um ein Interview mit der Grande Dame der Erfindungen zu führen, vielleicht aber auch, um den wahren Gehalt von Geschichten zu erkunden.

So ist die Reise des Tintenmannes Quiqueg, wie sich der Erzähler nennt, eine Reise durch die Highlights und Everglades jener Geschichten, mit denen seit Jahrhunderten die hellsten Köpfe jeder Generation aufwachsen.

Lord Winter etwa ist ein Zeremonienmeister, der den drei Musketieren immer die richtigen Personen vorstellt, der Erzähler zähmt in seinem Namen Figuren wie die Tante Frieda, den Tipper-Opa oder Mer-Ling, es sitzen nämlich alle im Zug, der nach Norden dampft.

„In der Spiegelung des Abteilfensters ähneln wir Figuren in einer Spieluhr. Da, jetzt reichen sie einander die Hände und drehen sich im Kreis zu einer leisen Melodie. Es ist der Tanz der Zuckerfee.“(16)

In diesem Kaleidoskop aller frechen Figuren gehen die absurdesten Handlungen wie selbstverständlich in einander über. Wie bei Alice im Wunderland sind Schatten und ihre Dinge seitenverkehrt in der Wahrnehmung aufgepflanzt, eine Beobachtungstrance läßt die Akteure überklar sprechen, auch wenn ihre Botschaften stets mehrdeutig sind.

Überall sind Monicas eingeritzt, das sind geheime Icons einer anderen Identität. Ja im Park vor Astrid Lindgrens Haus steht eine Bank, in die sind so viele Monicas eingeritzt, dass die Bank selbst gar nicht mehr da ist!

Für kurze Augenblicke wird der Journalist von den Figuren enttarnt und löst Kopfschütteln aus mit seiner seltsamen Realität, wie sie in den Zeitungen steht. Und die echten Geschmacksfragen lassen sich ohnehin nicht beantworten, warum nämlich schmecken gestohlene Äpfel besser als gekaufte?

Hubert Flattingers Erzählung ist ein Parforceritt durch jene Literatur, die aufgeklärte Jugendliche einfach gelesen haben müssen. Der Erzählwinkel ist spitz und steil, wie nach einem guten Joint aus Fliegenpilzen, die Landung in der Wirklichkeit jedoch klar und sanft, immerhin liest jeder gute Erzählpilot Kinderbücher, während er fliegt. Ja und Astrid Lindgren kommt im abschließenden Bildteil vor, da lacht sie zu ungestellten Fragen, nimmt eine Ehrung entgegen und sitzt und schaut in den Vasapark.

Hubert Flattinger: Als ich Lord Winter war. Eine Reise zu Astrid Lindgren.
Innsbruck: Kyrene 2005. 54 Seiten. EUR 8,20. ISBN 3-900009-10-4.

 

Helmuth Schönauer, 21-12-2005

Bibliographie

AutorIn

Hubert Flattinger

Buchtitel

Als ich Lord Winter war

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2005

Verlag

Kyrene

Seitenzahl

54

Preis in EUR

EUR 8,20

ISBN

3-900009-10-4

Kurzbiographie AutorIn

Hubert Flattinger, geb. 1960 in Innsbruck, lebt auf einer Farm in Mieming.