Beppo Beyerl, Die Eisenbahn

Buch-CoverDie Eisenbahn ist wahrscheinlich der trivialste Mythos, mit dem wir es in einer Gesellschaft zu tun bekommen. Auf Österreichisch heißt das, es gibt den Mythos vom politisch upgedateten Eisenbahner, den Mythos von Pionierleistungen im Streckenbau, den Mythos starker Lokomotiven und den Mythos einer starken Zukunft der Eisenbahn überhaupt.

Beppo Beyerl räumt mit diesen Mythen ziemlich salopp auf, wahrscheinlich gelingt ihm das deshalb so gut, weil er erstens genau recherchiert hat, und zweitens seine Erfahrungen als aktiver Bahnbenützer authentisch sind.

Unter dem Eisenbahnterminus Weichenstellung faßt Beppo Beyerl die jüngere Geschichte Österreichs ins Auge und hält sich dabei an ein sehr kluges historisches Prinzip: Die Eisenbahn ist einerseits jeweils zeitgenössisches Spiegelbild der aktuellen Geschichte, andererseits löst sie durch das ihr eigene Drehmoment oft historische Prozesse aus, wie etwa bei der unsäglichen Selbstausschaltung des österreichischen Parlaments, wo es akkurat um eine Eisenbahndebatte gegangen ist.

Der Beginn der Eisenbahn mutet wie eine Zeit im Bild aus der Gegenwart an. Verschiedene Geldgeber, Spekulanten und Unternehmer rittern um das Privileg, neue Strecken bauen zu dürfen, um dann meist selbst „Ritter von“ zu werden.

So liefern sich in der Pionierzeit des Streckenbaues die Häuser Rothschild, Sina und die Brüder Pereire tolle Gefechte, bis von Wien aus sternförmig Linien weggehen, die miteinander nichts zu tun haben.

Das Ende der Monarchie bringt auch ein Ende des bisherigen Streckennetzes, zumal die bisher bedeutungslose Westbahn plötzlich das Rückgrat der neuen Republik wurde. Die Westbahn diente bis dahin - süffisant formuliert - bloß dazu, den Kaiser rasch nach Bad Ischl und Sissy möglichst flott in ihr Bayernland zu verliefern.

Auch das Personal selbst verhielt sich oft durchaus historisch, wenn auch anders, als in den Gewerkschaftsmythen besungen. So standen die Eisenbahner im Bürgerkrieg durchaus auf der Seite von Dollfuß und waren auch in der Nazizeit keineswegs von großem Widerstandsgeist durchdrungen.

In kleinen Nebengeschichten erfahren wir beispielsweise, wie es die tschechische Seele schon immer verstanden hat, mit der Bürokratie elegant umzugehen. Im Protektorat Böhmen gab es durchaus Eisenbahnerwiderstand gegen die Nazis, außerdem geht die schweiksche Methode des „Dienstes nach Vorschrift“ auf tschechische Eisenbahner zu Zeiten der Monarchie zurück.

Gegen Ende der Geschichte, als es der Bahn schon ziemlich schlecht geht, streut Beppo Beyerl noch ein paar persönliche Geschichte ein, in denen er als U-Boot, Solopassagier und Waldläufer durch aufgelassene Areale seine Beobachtungen der Blues-Art macht.

Die Eisenbahn wird sicher weiterhin Geschichte machen, aber sie sollte sich zumindest in Selbstreflexion definieren, was sie letztlich will. – Beppo Beyerls Buch ist ein Geschichtsbuch der anderen, weil unterhaltsamen Art. Und beim Anblick der nächsten Zuggarnitur denkt man sich als Leser: So sympathisch kann Geschichte sein!

Beppo Beyerl: Die Eisenbahn. Historische Weichenstellungen entlang des österreichischen Schienennetzes.
Wien: Promedia 2004. 160 Seiten. EUR 11,90. ISBN 3-85371-227-4.

 

Helmuth Schönauer, 26-12-2005

Bibliographie

AutorIn

Beppo Beyerl

Buchtitel

Die Eisenbahn

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2004

Verlag

Promedia

Seitenzahl

160

Preis in EUR

EUR 11,90

ISBN

3-85371-227-4

Kurzbiographie AutorIn

Beppo Beyerl: Die Eisenbahn. Historische Weichenstellungen entlang des österreichischen Schienennetzes.

Themenbereiche