Beatrice Simonsen (Hrsg.), Grenzräume

Buch-CoverWenn Bozen 2019 Kulturhauptstadt werden sollte, was erzählen wir dann Europa? - Wieder einmal ist es der Kulturphilosoph Armin Gatterer, der eine Frage der Zukunft mit Literatur in Verbindung bringt, üblicherweise rennt die Literatur ja bereits abgehangenen Geschichten und Stimmungen nach.

In der Antwort auf seine Frage stellt Armin Gatterer den Begriff der Narrativität, die Kunst des Erzählens in den Mittelpunkt. Vielleicht sind gerade die ziemlich wortverkümmerten, grobschlächtig in drei Sprachschalen zum Dünsten ausgebreiteten Südtiroler die idealen Erzähler. Denn Themen gibt es seit Jahrhunderten genug: Transit, Handel, Geschäfte, Kulturfluss, in die Heimat kommen und von ihr gehen.

Beatrice Simonsen, die Herausgeberin der literarischen Landkarte, stellt jeweils fiktionale Texte quasi als Landschaftsrelief vor, woraufhin Geometern ähnlich Germanisten und Literaturpublizisten die Texte kommentieren.

Den Beginn macht eine Sequenz aus Franz Tumlers Roman „Aufschreibung aus Trient“. Das Element eines sich überschlagenden Autos, der Moment der Stille in der Luft, das Ausbleiben von Raum und Zeit und beim Aufschlag die Rückkehr in die Wirklichkeit führen den Erzähler zur Erkenntnis, dass man nur durch Sprechen zum Leben zurückfindet. (30) Dieser erzählte Unfall kann durchaus als ein Überschlag Südtirols gedeutet werden. Wie berichtet man von einem Ereignis, in dem man quasi drinnen gesessen ist, wofür man sich aber schämt und ein schlechtes Gewissen hat?

Herbert Rosendorfer, Joseph Zoderer, Helene Flöss und Sepp Mall erzählen von Ereignissen wie Heimkehr, Option, Widerstand. Die Kulturpublizistin Nina Schröder stellt diesen mit Verve und Sorgfalt behauenen Heimattexten noch die Heimatlosigkeit bei Waltraut Mittich hinzu.

In den ausgewählten Texten von Anita Pichler, Sabine Gruber und Maria Brunner geht es vielleicht um eine permanente Sehnsucht, hinauszukommen oder wieder zurückzufinden, wie Karin Dalla Torre meint.

In weiteren Abschnitten werden die Lyrik Kasers und Koflers gewürdigt, die italienische Literatur kommt endlich einmal in einer Anthologie zum Zug, und den literarischen Höhepunkt liefert vielleicht Rut Bernardi mit ihrer Beschreibung der ladinischen Seele. Was für eine Sage vom König Laurin! Laurin verflucht zwangsgetauft den Rosengarten, damit er weder bei Tag noch bei Nacht leuchte. Aber der gute Zwergenkönig hat die Dämmerung vergessen, so dass Ladinien seither von einem permanenten Alpenglühen durchzogen ist.

Johann Holzner beleuchtet zwei unveröffentlichte Prosateile von Bettina Galvagni und Martin Pichler und zeigt, wie in Südtirol langsam der Pfad von der Autobiographie zur generellen Fiktion eingeschlagen wird, vielleicht ist diese eine Methode, das Land überhaupt zu beschreiben. Womit wir wieder bei Armin Gatterers leicht schwärmerischen These sind, dass die Südtiroler wunderbar und Wunderbares erzählen können.

Wenn sie vielleicht nicht perfekt erzählen können, so haben die Südtiroler immerhin mächtige Proponenten, die ihre Literatur fördern. Das ist vielleicht die größte Tugend der Südtiroler!

Beatrice Simonsen (Hg.): Grenzräume. Eine literarische Landkarte Südtirols.
Bozen: Edition Raetia 2005. 230 Seiten. EUR 18,-. ISBN 88-7283-243-8.

 

Helmuth Schönauer, 02-01-2006

Bibliographie

AutorIn

Beatrice Simonsen (Hrsg.)

Buchtitel

Grenzräume

Erscheinungsort

Bozen

Erscheinungsjahr

2005

Verlag

Edition Raetia

Herausgeber

Beatrice Simonsen

Seitenzahl

230

Preis in EUR

EUR 18,-

ISBN

88-7283-243-8

Kurzbiographie AutorIn

Beatrice Simonsen, geb. 1955 in Wien, lebt in Wien.

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