Adalbert Stifter, Liebespost

Buch-CoverEin Jubiläumsjahr ist für einen längst verstorbenen Dichter immer so etwas wie für einen Hundertjährigen ein Gesundencheck. Wenn es ein Dichter einmal geschafft hat, in den offiziellen Literaturkanon einzugehen, ist er quasi gesund, und die kleinen Wehwehchen nimmt man mit Schmunzeln zur Kenntnis.

Im Jahr 2005 hat der gute alte Stifter seinen Gesundencheck erhalten, es ist gut ausgegangen, er ist lieb und kauzig und wir mögen ihn alle. Übrig geblieben bis zum nächsten Jubiläum sind jede Menge Bücher, von reloadet über Böhmen bis zur Liebespost.

Diese Liebespost ist genau so lieb wie der ganze Stifter, ein wenig kleinlich und von Blähungen gedrückt, wie eben alle Texte Stifters sind. Die Liebespost ist zwar als eigene Textsorte ausgewiesen, da Stifter aber mehr oder weniger alles zu Literatur gemacht hat, wird auch die Liebe, oder was er dafür gehalten hat, zu einem Stück Literatur.

Der klassische Liebesbrief bei Stifter geht brutal nacherzählt etwa so: Ich bin arschlings vom Zug hinausgefallen und habe mir das Schienbein angehauen. Ich bin ein ganz armer Mann, weil ich mir das Schienbein angehauen habe und es dir nicht zeigen kann. Das Wetter ist mies, wenigstens ist der Gasthof geheizt. Ich schreibe jetzt am Witiko und kriege um neun mein Schnitzel. Dann mach ich eine Inspektion oder morgen und schreibe wieder.

Irgendwie schreibt sich ein Fettsack seine täglichen Ärgernisse vom satten Leib und verkleidet sie in impotente Redewendungen. Ziemlich selbstverknallt hält er das ganze für Liebe und bringt es pädagogisch auf die Reihe oder zur Post.

Mittlerweile gibt es von Stifter alles, vom Buch der Blähungen über das Buch vom Kot bis zum Buch der Sonnenfinsternisse liegt der Stifterbogen jubiläumsabgefertigt im Regal.

Das Vorwort von Margit Schreiner ist entbehrlich, nur weil sie einmal über Hausfrauensex geschrieben hat, hat sie noch lange nichts über den Stifter zu sagen, deshalb sagt sie auch nichts.

Günther Eisenhuber hat die Briefe mit witzigen Kommentaren versehen, völlig diskret erklärt er scheinbare Selbstverständlichkeiten und ironisiert so die stiere Ernsthaftigkeit des Stifter-Duktus. Eine knappe Biographie zu Stifter sagt ohnehin alles, wer so lebt, bei dem geht wahrlich die Post arschlings ab.

„Meine geliebteste, meine teuerste Gattin! Ich beginne auf diesen Blättern einen langen Brief an dich, der erst in mehreren Tagen fertig werden, und dir über Alles, was du etwa wissen möchtest, Berichte bringen wird.“ (130) Die arme Haut kriegt darauf hin einen Verdauungsablauf geschildert, der wirklich unverdaulich ist. Aber so ist das mit der Stifterschen Liebespost, sie schlüpft in alle denkbaren Ritzen und Kanäle und schläfert dort alles ein, was sich irgendwann einmal bewegt hat.

 

Adalbert Stifter: Liebespost. Von Liebesleid und Gattenglück. Mit einem Vorwort von Margit Schreiner. Hrsg. von Günther Eisenhuber.
St. Pölten: Residenz 2005. 187 Seiten. EUR 19,90. ISBN 3-7017-1425-8.

 

Helmuth Schönauer, 14-01-2006

Bibliographie

AutorIn

Helmut Schönauer

Buchtitel

Liebespost

Erscheinungsort

Pölten

Erscheinungsjahr

2005

Verlag

Residenz

Seitenzahl

187

Preis in EUR

EUR 19,90

ISBN

3-7017-1425-8

Kurzbiographie AutorIn

Günther Eisenhuber, geb. 1971, lebt in Salzburg.

Themenbereiche