Andrej Kurkow, Die letzte Liebe des Präsidenten

Buch-CoverVollrausch ist immer ein guter Start, da werden die Spielregeln gleich einmal gebrochen, ehe sie noch aufgestellt sind.

Andrej Kurkows Roman über Liebe, Macht und Wahnsinn eines ukrainischen Präsidenten beginnt daher logischerweise mit einem Vollrausch. Jeder Präsident ist nämlich in seiner Jugend einmal ein echter Mensch gewesen. Auch Sergej Stepanowitsch hat in seiner Jugend ordentlich gebechert, und in so einer Phase trifft er auf offener Straße auf den puren Rechtsverkehr.

Dieses erste Kapitel zeigt die volle Wahrnehmung bei gestörten Sinnen, zwei Betrunkene weichen einander aus, fallen zusammen, wollen nichts miteinander zu tun haben und sind dennoch im Rausch auf der gleichen Spielebene.

Diese eigenartige Wahrnehmung der Dinge zieht sich als Programm durch die Biographie des Präsidenten. Er startet seine Karriere quasi bei null, findet über die korrupte Geschäftswelt bald zur Macht und hat ein Leben lang damit zu tun, diese Macht als Selbstzweck zu erhalten.

Der Roman spielt gleichzeitig auf den Zeitebenen Jugend, Hormonschub und Machterhalt. Täglich müssen diese drei Kräfte ideal zusammenwirken, sonst ist es mit der Karriere bald einmal vorbei.

Obwohl der Machterhalt, das Bekämpfen von Intrigen und das Ausleben der Alltagslibido die Hauptbeschäftigung eines Präsidenten sind, kommt es doch immer wieder zu hervorragenden Heldentaten, Events und patriotischen Aktionen.

Für die Psyche wird beispielsweise ein Stressbekämpfer engagiert, der das allgemeingültige Programm für die Ukraine wieder auf ein erträgliches Individualprogramm herunterfährt, ein Staatsprogramm nämlich ist für den Einzelnen unerträglich, was auch der Präsident leidvoll erfahren muss.

Die Geliebte bricht bei offenem Herzen auseinander und selbst staatsübergreifende Rettungsaktionen können nicht mehr helfen, ist das Herz einmal gebrochen, hilft auch kein Schweizer Starchirurg mehr.

Und immer wieder Konferenzen, Intrigen und Staatsaktionen. Zu einem Ukraine-Jubiläum soll beispielsweise der alten Gaslieferungsfreundschaft mit Russland gedacht werden. Zu diesem Zweck fahren ein russischer und ein ukrainischer Zug auf den beiden Gleisen parallel und staatstragend von Kiew nach Moskau. Diese Parallelaktion im Musilschen Sinne liefert Munition für Freundschaften, Presseberichte und große Auftritte.

Wann findet eigentlich die letzte Liebe statt? – Eine gute Frage. Sobald man sich nämlich ihrer gewiss wird, ist man tot. Das weiß auch der Präsident und ist vorsichtig.

Andrej Kurkows sarkastischer Roman über Liebe, Hektik und Alltagsperversion ist eine aufregende Lektüre, die man am besten nach der täglichen Zeitung in Angriff nimmt. Im Roman nämlich wird der Alltag schneller, tiefer und grotesker. Kurzum, das Leben des Lesers wird zu einer grandiosen Präsidentschaft über sich selbst.

 

Andrej Kurkow: Die letzte Liebe des Präsidenten. Roman. A.d. Russ. von Sabine Grebing. [Orig.: Poslednjaja ljubov presidenta, Charkow 2004].
Zürich: Diogenes 2005. 694 Seiten. EUR 22,90. ISBN 3-257-86123-0.

Andrej Kurkow, geb. 1961 in St. Petersburg, lebt in Kiew.

Helmuth Schönauer, 16-01-2006

Bibliographie

AutorIn

Andrej Kurkow

Buchtitel

Die letzte Liebe des Präsidenten

Erscheinungsort

Zürich

Erscheinungsjahr

2005

Verlag

Diogenes

Seitenzahl

694

Preis in EUR

EUR 22,90

ISBN

3-257-86123-0

Kurzbiographie AutorIn

Andrej Kurkow, geb. 1961 in St. Petersburg, lebt in Kiew.

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