Kathrin Röggla, disaster awareness fair

Buch-CoverWas lässt uns freiwillig in ein Kino gehen, um dort einen Katastrophenfilm anzuschauen? – Wohl die Lust, etwas bislang Verborgenes über uns und unser Ticken in der Gesellschaft zu erfahren.

Der so genannte Katastrophenfilm zeigt recht genau den Zustand der jeweiligen Gesellschaft auf, denn angesichts der inszenierten Katastrophe laufen öffentliche und private Empfindungen nach einem verborgenen Muster der Solidarität ab. Unsere privaten Gefühle können wir in das Drehbuch schmuggeln und im allgemeinen Desaster reinigen und updaten lassen.

Kathrin Röggla, die in ihren fiktionalen Texten stets die Arbeitswelt und das Netzwerk moderner Gesellschaft analysiert, richtet mit ihren beiden Essays „geisterstädte geisterfilme“ und „die rückkehr der körperfresser“ lichtstarke Scheinwerfer auf unser Gemeinwesen, das sich vor allem in der Unbeherrschbarkeit der Städte und in den Drehbüchern unseres Untergangs manifestiert.

Die Stadt ist mittlerweile jener Ort geworden, wo sich gesellschaftliche Verhältnisse am klarsten ablesen lassen. Über das Leben in der Stadt lässt sich mit Vokabeln sprechen wie: Fake-City, theatralische Inszenierung von Öffentlichkeit, Disneyfizierung der Innenstadt, Hang zur Camouflage. Längst steckt zwischen dem, was wir sehen, und dem, was ausgedrückt werden soll, das Brachland der Irritation. Man denke nur an amerikanische Botschaften, die den freien Warenverkehr propagieren und sich hinter Panzersperren gegen Überfälle schützen müssen.

Auch im Alltagsleben sind die Dinge immer anders, als sie in der offiziellen Beschreibung ausfallen. Während man generell die große Mobilität besingt, gibt es zunehmend verarmte Schichten, die sich keine Tickets mehr für den öffentlichen Verkehr leisten können. Und in der nächsten Stufe zieht sich der öffentliche Verkehr aus Gegenden zurück, die somit samt ihren Bewohnern vom öffentlichen Interesse entkoppelt werden.

Kathrin Röggla komponiert aus Filmen, Lektüren und Ansprachen einen Zugang zum Desaster, der jenseits aller Theatralik und Feierlichkeit liegt. Ihr Ton ist ein rascher Schnitt, der die Zustände frisch gehäckselt ausspuckt. Nicht umsonst beginnen Katastrophenfilme immer mit einer zerschnittenen Gesamtidylle, worin der Einzelne ahnt, dass er aus dem Gesamtkonsens ausgespuckt wird.

Kathrin Röggla fordert vor allem eines: Es braucht heute einen anderen Katastrophenfilm. Einen, der auf den Klebstoff der Kleinfamilie verzichtet und sich als eine hybride Mischung darstellt, die keine Entscheidung zulässt, ob es sich um Dokumentarfilm oder Fiktionsfilm handelt. (49)

Denn möglicherweise findet die Apokalypse nicht in einer ferneren oder näheren Zukunft statt, sondern zeitgleich in Gegenwart, Zukunft oder gar Vergangenheit.

Kathrin Röggla, disaster awareness fair. zum katastrophischen in stadt, land und film.
Graz: Droschl 2006. (= Essay 57). 53 Seiten. EUR 9,50. ISBN 978-3-85420-711-5

Weiterführende Links:
Literaturverlag Droschl: Kathrin Röggla, disaster awareness fair
Wikipedia: Biographie Kathrin Röggla

 

Helmuth Schönauer, 28-07-2006

Bibliographie

AutorIn

Kathrin Röggla

Buchtitel

disaster awareness fair. zum katastrophischen in stadt, land und film

Erscheinungsort

Graz

Erscheinungsjahr

2006

Verlag

Droschl

Seitenzahl

53

Preis in EUR

9,50

ISBN

978-3-85420-711-5

Kurzbiographie AutorIn

Kathrin Röggla, geb. 1971 in Salzburg, lebt seit 1992 in Berlin.