Olga Martynova / Jelena Schwarz, Rom liegt irgendwo in Russland

martynova, romSeit jener berühmten Ingeborg-Bachmann-Zeile „Böhmen liegt am Meer“ gilt das Verrutschen der Geographie als beliebtes Mittel der Lyrik, um schräge Gefühls- oder Erkenntnislagen auszudrücken.

Im Kombi-Band der beiden russischen Dichterinnen Olga Martynova und Jelena Schwarz steht Rom als Ort der lyrischen Kernspaltung im Mittelpunkt, aber die Auswirkungen dieser Fusion schlagen heftig nach Russland zurück.

Jelena Schwarz gilt als Kultdichterin St. Petersburgs, ausverkaufte Gedichtbände, Interviews, Symposien sind die Erfolgsrituale für eine Lyrikerin, die ehemals als Samisdat-Dichterin durch dien literarischen Untergrund surfen musste. Olga Martynova wiederum kann als das Scharnier angesehen werden, an dem sich der lyrische Flügel Russlands in den Westen schwingt.

Jelena Schwarz nimmt in ihrem „römischen Heft“ Brunnen, Plätze oder Fresken aus dem römischen Kosmos zum Anlass, um darin die Partikel der russischen Wahrnehmung unterzubringen. Neben klassischen Brunnenklängen im Stile C. F. Meyers tritt unvermittelt ein Zidanscher Kopfstoß auf, ein Bub hat einen Fußball dem lyrischen Ich an den Kopf geschossen.

Der „lächerliche und abgeschmackte“ (27) Vorfall wird daraufhin in einer Fußnote aufgekocht  und mit einem großen Gedicht gefeiert. Einmal wird es dunkel wie in einem revolutionären Gedicht Marke St. Petersburg, aber es sind nur die Elektriker, die gewerkschaftlich kompetent streiken und so der Aura einen dunkelsatten Glanz verleihen.

Nach einem prosaischen Intermezzo, worin die Verbindung russischer Dichterinnen zu Rom aufgezeigt werden, hier tut sich vor allem Hostia hervor, die vom Dichter Properz als Cynthia besungen wurde, stellt Olga Martynova ihre „Verse von Rom“ dar. Diese sind vor allem eines: quer. Obwohl sie im russischen Original noch halbwegs auf einer Seite einfassbar sind, müssen sie in der deutschen Übersetzung quer gedruckt werden, will man sie irgendwie in den Griff bekommen.

In breiten Lyriktropfen zischen die Jahreszeiten durch die ewige Stadt, „im Winter nach Rom zu kommen, / ist wie im Schweigen (Rauschen) des Jungfräulichen Wassers das Herz zu ertränken, / wie die Sonne aus Schnee auszugraben.“ (79) 

Im Umschlag sind in Samisdatmanier ein pures Stück karierte Landschaft und ein Ausriss in russischer Schrift als Geheimbotschaften untergebracht. Der lyrische Dialog wird ganz dem abrasch-Motto gerecht, ‚abrasch’ ist nämlich eine Wolke, deren Farbgebung unerwartet auspixelt.

Olga Martynova / Jelena Schwarz, Rom liegt irgendwo in Russland. Zwei russische Dichterinnen im lyrischen Dialog über Rom. Russisch / Deutsch. A. d. Russ. von Elke Erb und Olga Martynova.
Lana, Wien: edition per procura 2006. ( = abrasch 10 ). 79 Seiten. 15,50 €, ISBN 978-3-901118-57-9

 

Weiterführende Links:
Edition Per Procura: Olga Martynova u. Jelena Schwarz, Rom liegt irgendwo in Russland
Wikipedia: Olga Martynova

 

Helmuth Schönauer, 09-08-2006

Bibliographie

AutorIn

Olga Martynova / Jelena Schwarz

Buchtitel

Rom liegt irgendwo in Russland. Zwei russische Dichterinnen im lyrischen Dialog über Rom

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2006

Verlag

edition per procura

Übersetzung

Elke Erb / Olga Martynova

Seitenzahl

79

Preis in EUR

15,50

ISBN

978-3-901118-57-9

Kurzbiographie AutorIn

Olga Martynova, geb. 1962 in Dudinka, im Gebiet Krasnojarsk, lebt seit 1991 in Deutschland.<br />Jelena Schwarz, geb. 1948 in Leningrad, lebt in St. Petersburg.

Elke Erb, geb. 1938 in der Eifel, lebt in Berlin.

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