Joachim Gunter Hammer, Finsternis Sonne Ich

Buch-CoverSo etwa könnte eine minimale Galaxis aussehen: Finsternis, Sonne, Ich. Wie Planeten kreisen bei Joachim Gunter Hammer diese Begriffe um einander, in seinen Gedichten nämlich können Zustände Festkörper werden und scheinbar feste Begriffe Zustände.

Der Texteindruck dieser lyrischen Galaxis ist zwischendurch so komprimiert, dass man beinahe in das berüchtigte schwarzes Loch auf der Textseite starrt, dann zieht sich der Sprachstrang wieder auseinander und federt um sich selbst. Als graphische Markierungspunkte sind Variationen eines Naturdenkmals eingelegt, in einer abgestorbenen Ast-Vagina eines Rebstocks sitzt jeweils eine Puppe zu einer Ungeburt erstarrt.

Im Kompakt-Gedicht „In den Netzen eines Abends“ geht der lyrische Fluss in einen reißenden Essay über, jeweils eingeleitet mit dem suggestiven Wort „natürlich“.

Natürlich bin ich nicht echt, natürlich ist Distanz eine Suggestion, natürlich sind die Dinge das relative Nichts, natürlich ist mein Leib ein ganzes Stück Weltall […] (42/44).

Mit diesem natürlich, das scheinbar alles auf eine höhere Ordnung zurückführt werden an einem Abend alle Gedanken des Universums zusammen gefangen und in einem großen naturwissenschaftlichen Erkenntnistabernakel ausgestellt, ehe dann der beinahe beruhigende Schlusssatz fällt, ideal für die ganze Nacht: „natürlich führt die unaufhörliche Wiederholung der Silbe ICH zur Erlösung“.

Immer wieder sind kleine Medaillons den Lyrikschleifen vorangestellt wie etwa: „Im Zögern blitzt der höhere Mensch auf“, oder „Als Kind trank ich im Keller den blonden Harn einer Fee“.

Über lange Atemweiten ist die Natur ausgebreitet, wie wir sie einst in unseren Anfängerbüchern zur Naturkunde gelesen haben. Teile von Blüten, Pflanzengefaser, Strukturen von Zellen sind als Erinnerungslandschaften ausgelegt, aber mittendrin mutieren Geschlechtsorgane zu Tieren, Warzen zu Gestirnen, Gespräche zu Fortpflanzungsgesten. Nichts ist wie es ist, hinter jeder Haut der Zwiebel steckt die Haut einer anderen Pflanze oder eines anderen Wesens.

Und dann noch die Sache mit Gott, der immer als Formel gOtT ins Spiel kommt, eine Leerformel bleibt und sich ausspricht wie die Hybridvariante eines Rennautos.

Das lyrische Ich schlägt während seiner Besinnungsstunden wild um sich, häckselt die Wörter zu einem Mulch der ewigen Art und ist zwischendurch wieder angetan von höchster Zärtlichkeit, wenn jemand auftaucht, der zuhört, sich begatten lässt oder einfach die Nacht als verdichtete Angelegenheit über sich ergehen lässt. Die Wahrnehmung findet in einem un/geschlossenen System statt, wenn man nicht gar von einer un/geschlossenen Abteilung reden kann.

Joachim Gunter Hammer schaufelt seinen lyrischen Kosmos Tag und Nacht von einer Seite auf die andere, dabei steigen Gedichte auf wie Staub, glitzern, flirren, und stürzen sich jäh auf den Leser, um auch diesen zum Funkeln zu bringen.

Joachim Gunter Hammer, Finsternis Sonne Ich. Gedichte aus einer un/geschlossenen Abteilung.
Klagenfurt: Kitab 2006. 114 Seiten. EUR 15,-. ISBN 978-3-902005-77-9

 

Weiterführende Links:
Kitab-Verlag: Joachim Gunter Hammer, Finsternis Sonne Ich
Kulturserver Graz: Joachim Gunter Hammer

Bibliographie

AutorIn

Joachim Gunter Hammer

Buchtitel

Finsternis Sonne Ich. Gedichte aus einer un/geschlossenen Abteilung

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2006

Verlag

Kitab

Seitenzahl

114

Preis in EUR

15,00

ISBN

978-3-902005-77-9

Kurzbiographie AutorIn

Joachim Gunter Hammer, geb. 1950 in Graz, lebt Edelstauden.

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