Armin Baumgartner, 96 das fremde buch in mir

Buch-CoverZahlen im Titel lösen immer Verdutzung aus und die Lust, diese Zahl mit einem Sinn in Verbindung zu bringen. Handelt es sich bei 96 um eine Jahreszahl, eine Route 96 oder gar um eine umgedrehte Sexstellung?

Bei Armin Baumgartner wird das Rätsel bald einmal gelöst. Etwas Fremdes hat das schreibende Ich angefallen und verlangt, dass der Schreiber 96 Seiten aufschreibt. Die Aufgabenstellung bleibt dem Erzähler ebenso unerklärlich wie dem Leser, aber verrückte Aufgabenstellungen lassen sich ohnehin selten logisch erklären. Der Erzähler flüchtet daher erst einmal in die allgemeingültige „man“-Formel, alles muss man, kann man, Bierdeckel müsste man sich besorgen.

Bald einmal legt sich dieser bleierne Schleier einer unlösbaren Schulaufgabe über den Text. Es will kein rechtes Thema entstehen, die Sinnesorgane klinken sich einzeln aus und vermitteln unkoordiniert zusammengepuzzelte Eindrücke, die sich in der Hauptsache zu Störungen ausgeweitet haben.

Gerade diese Allerweltsthemen können ein schreibendes Ich völlig kaputt machen. Zum Beispiel die Corporate Identity:

Also da gäbe es bei mir dann die Christen, die Buddhisten, die Moralisten, die Mormonen, die Hinduisten, die Schiiten, die Sunniten, die Juden, die Pfingstler und so fort und auch so weiter, dann gäbs noch die Protestanten und dann kommen sie auch schon: meine Amüsanten. Die Amüsanten, also. Gehen durch die Lande und lachen gegenseitig über sich wie nur was, erzählen sich aus vollem Leib und stolzer Brust ihre Missgeschicke. (63)

Das Fremde saugt sich wie ein Spulwurm ins Hirn des Verfassers, und während er diesen Assoziativ als Fremdkörper gewähren lässt, legt er die besten Gedanken wie Eier in den Kopf.

In diese Sülze sind zwischendurch heftige Analysen zur Weltlage eingelagert. Zwischen den einzelnen Wackeleinheiten eines Schreibertisches, den offensichtlich kein Bierdeckel und schon gar nicht der Konsum von Bier stabilisieren können, schaukeln sich philosophische Fragmente zu kompakten Weltbildern auf, die niemandem gehören, zu nichts Nutze sind, aber eine herrliche Aussicht verschaffen und sich ununterbrochen zitieren lassen.

Armin Baumgartners Text macht Schluss mit Geniekulten in der Literatur. Wenn der Schreibende etwas schreiben will, kommt nichts, wenn ihm dann etwas aus den Tippfingern rinnt, ist es womöglich nicht das seine, und je länger man schreibt, umso mehr entfremdet man sich selbst. So bleibt letztlich nur die Angabe einer stabilen Seitenzahl, welche das Buch, das Leben und die Literatur zusammenhalten kann.

Armin Baumgartner, 96 das fremde buch in mir.
Wien: Uhudla A – Tri/TOn 2006. 90 Seiten. EUR 9,60. ISBN 3-901561-67-6.



Helmuth Schönauer, 19-10-2006

Bibliographie

AutorIn

Armin Baumgartner

Buchtitel

96 das fremde buch in mir

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2006

Verlag

Uhudla A & Tri/TOn

Seitenzahl

90

Preis in EUR

9,60

ISBN

3-901561-67-6

Kurzbiographie AutorIn

Armin Baumgartner, geb. 1968 in Neunkirchen, lebt in Wien.