Peter Handke, Spuren der Verirrten

Buch-CoverManche Texte bestehen aus einem Schleier, den man als diffuse Botschaft an Land zieht. Peter Handkes Stücke sind erst einmal ein Stück Gewebe, das alles sein kann, ein Netz, worin sich verschiedene Figuren verfangen haben, ein paar Wortschindeln, die einst zu einer Rätselhütte gehört haben, ein paar Andeutungen, die ein Regisseur bei einem Spaziergang verloren haben könnte.

Das Stück „Spuren der Verirrten“ handelt höchstens davon, wie ein Zuschauer schaut, sich im Geschauten verliert und letztlich vergisst, dass er gerade schaut. Held ist also der Zuschauer, dem eine Reihe von Bewegungen, Begegnungen und Wortwechsel wie Brosamen vorgeführt werden. Einmal heißt es deutlich sinnig, dass die Sätze vielleicht wie Brotstücke ausgeworfen worden sind.

Was sind letztlich Spuren, wie entstehen sie, wer kann sie entziffern, und was, wenn diese Spuren gar keinen Sinn ergeben, weil die Spurenleger selbst kein Ziel haben?

Die einzelnen Sequenzen hängen folglich nur lose zusammen, weil eine kausale oder logische Abfolge bereits einen Sinn ergeben würde. Oft hat man als Leser den Eindruck, da hat es die Figuren von irgend deinem Podest geworfen, und während sie sich sammeln und aufrappeln, sagen sie etwas, was passen könnte oder auch nicht.

„Spuren der Verirrten“ kann sicher bei Bedarf auch zu einem Theater ausarten, aber der Text ist so offen und uneindeutig, dass man ihn am besten als Leser für sich selbst aufführt. Ähnlich dem absurden Theater wird mit der Dramaturgie des Theaters Schlitten gefahren. Wie immer man den Text deutet, er ist richtig gedeutet.

Manchmal fallen große Namen von Weltstädten, dann wieder Mickrigkeiten wie Feistritzbach oder Wespenwinkel. Besonders funkelnd werden diese beschworenen Orte, wenn sie das unendliche O großer Oden vorgesetzt haben.

O Feistritzbach. O Grafenbach. O Lipitzbach. Krötenlache. Mückendorf. Wespenwinkel. (22)

Ähnlich skurril fallen die Schicksale aus, die ferne Helden erleiden.

Das kann doch jedem passieren. Soll denn ein Tormann, dem der Ball einmal zwischen den Beinen durchgesprungen ist, deswegen für immer zu spielen aufhören? Soll ein Schauspieler, der sich bei einem Sprung die Zungenspitze abgebissen hat, denn deswegen seinen Beruf aufgeben? Soll denn ein Chirurg, der seine Schere im Bauch des Patienten vergessen hat, deswegen Holzfäller im Amazonas werden? (16)

Peter Handkes Stück ist voller Überraschungen, läppische Gegebenheiten können theatralisch groß werden, die Sinnfragen werden zwischendurch klein und überflüssig. Und nie ist man sich sicher, ob es sich nicht um eine große Verhöhnung handelt, eine Verhöhnung des Theaters, des Lebenssinns, der Zuschauer, aller Beteiligten. So kann ein trivialer Gestus zwischendrin zu einem ganzen theatralischen Abend werden.

Peter Handke, Spuren der Verirrten.
Frankfurt/M: Suhrkamp 2006. 87 Seiten. EUR 14,80. ISBN 978-3-518-41854-3

 

Weiterführende Links:
Suhrkamp-Verlag: Peter Handke, Spuren der Verirrten
Wikipedia: Peter Handke

 

Helmuth Schönauer, 24-10-2006

Bibliographie

AutorIn

Peter Handke

Buchtitel

Spuren der Verirrten

Erscheinungsort

Frankfurt a. M.

Erscheinungsjahr

2006

Verlag

Suhrkamp

Seitenzahl

87

Preis in EUR

14,80

ISBN

978-3-518-41854-3

Kurzbiographie AutorIn

Peter Handke, geb. 1942 in Griffen, lebt bei Paris.

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