Joey Goebel, Freaks

Buch-CoverIn so genannten Band-Romanen driften Musikbands halb im Öl, halb auf einer Soundwolke durch die meist triste Realität einer unmusikalischen Welt. Die Musikwelt tickt dabei nach völlig anderen Gesetzen, als die so genannte normale Welt, und die Kluft zwischen diesen Welten kann nur durch saftige Rauschmittel oder himmlisch gegriffene Riffs auf den Instrumenten überwunden werden.

Die Freaks sind eine Musikband, die vor allem in zwei Posen auftreten: als Provinz und als Entstellung. Die Typologie der Bandmitglieder liest sich wie ein Who ist who des gesellschaftlichen Randes.

Ein Berufsafrikaner und Hobbyphilosoph singt, eine bildhübsche Satanistin im Rollstuhl spielt mit ihren neunzehn Jahren hinreißend Drums, die Gitarristin ist dafür achtzig, und verlässt das Altersheim für ihre Auftritte als Sexpistol-Imitat, ein achtjähriges Mädchen zupft ziemlich lieblos den Bass und ein irakischer Exsoldat sucht hinter den Tasten des Keyboards jenen amerikanischen Soldaten, den er offensichtlich bei sich daheim im Irak angeschossen hat.

Diese durchgeknallte Band hat ihr Headquarter in einem entlegenen Kentucky-Kaff und umkreist mit ihrer Musik das gesellschaftliche Niemandsland. Die Figuren verkörpern so etwas wie die Themen der Gesellschaft und ergeben in ihrem gemeinsamen Auftritt einen Hauch von Zeitgeist, seht her, die Freaks sind jemand, der das flache Land der USA während des Bush’schen Irak-Desasters verkörpert.

Im ersten Anflug liest sich der Roman wie eine Provinzposse vom öden Land, die Regularien sind als Gelächter und Karikatur ausformuliert, in diesem Szenegemälde gibt es keine geradlinige Komponente, auf die man bauen könnte. In der Verzahnung der Skurrilitäten steckt freilich die wahre Realität, wie sie aus Randgruppen, Nachrichtenpartikeln und einer hohl geschälten öffentlichen Meinung quer über das flache Land komponiert wird.

Die Auftritte und Gedankengänge der Band sind auch spröde, unlogisch und inszeniert, aber in diesem Desaster, das sich von Auftritt zu Auftritt hinzieht, spiegelt sich die amerikanische Gegenwartsseele.

Für uns Romanleser, die wir meist am schwer geometrisch geradlinigen deutschen Bildungsroman geschult sind, ist Freaks geradezu die Faust auf das Romanauge. Alles ist ganz anders, als wir es gelernt haben, auf nichts ist Verlass. Je wilder die Figuren und Schicksale auftreten, umso skurriler erscheint die Gegenwelt, die wir gerne als normal hinstellen. Joey Goebels Roman ist eine einzige Handbewegung, mit der Musik, Kultur, Politik und Realitätswahn auf den Kopf gestellt werden.

Joey Goebel, Freaks. Roman. A. d. Amerikan. von Hans M. Herzog. [Orig.: The Anomalies, 2003].
Zürich: Diogenes-Verlag 2006, 192 Seiten,  EUR 15,  ISBN 978-3-257-23662-0.

 

Weiterführende Links:
Diogenes-Verlag: Joey Goebel, Freaks
Wikipedia: Joey Goebel

 

Helmuth Schönauer, 14-12-2006

 

Bibliographie

AutorIn

Joey Goebel

Buchtitel

Freaks

Originaltitel

The Anomalies

Erscheinungsort

Zürich

Erscheinungsjahr

2006

Verlag

Diogenes-Verlag

Übersetzung

Hans M. Herzog

Seitenzahl

192

Preis in EUR

15,00

ISBN

978-3-257-23662-0

Kurzbiographie AutorIn

Joey Goebel, geb.1980 in Henderson/Kentucky, lebt in Los Angeles.

Themenbereiche