Franz Kabelka, Letzte Herberge
Kein Milieu ist vor Kriminalität sicher, das macht den Beruf eines Kommissars so aufregend, er gerät nämlich mit jedem Fall in ein spezielles Milieu.
Für Tone Hagen, der seit seiner Rückkehr ins Ländle stets angefressen und widerwillig ermittelt, ist wahrscheinlich ganz Vorarlberg ein undurchsichtiges Milieu.
Wie in zeitlosen Krimis zählt Hagen seine großen Fälle fortlaufend durch. Im zweiten Fall, der erste heißt schlicht „Heimkehr“, wird er ins Obdachlosenmilieu gerufen. Eine Frischluftfamilie findet zu Weihnachten auf der Ruine Heidenburg eine Leiche, die sich bald einmal als formidabler Ex-Schirennläufer und Ex-Tiroler herausstellt.
Der Tote heißt Paul Pröll, hat seine unauffällige Kindheit in Patsch am Fuße des Patscherkofels verbracht und ist dann erfolgreicher Schirennmeister geworden. Die letzten Jahre musste der auf allen Linien gescheiterte Tiroler im Vorarlberger Obdachlosenheim verbringen, die so genannte Herberge wurde zur letzten Herberge.
Ein zweiter Ermittlungsstrang führt in eine Schule mit sozialer Ader. Dort ermuntert ein Lehrer die Schüler zur Sozialarbeit, daraufhin betreut ein jugendliches Quartett die Insassen der „Herberge“ und lernt vor allem deren Kampf mit den Süchten, inklusive Erotik kennen.
Bei den Recherchen stellt sich heraus, dass ein Schüler abgängig ist, die Eltern denken eher an Liebeskummer, der Lehrer macht sich Sorgen.
In einem Ermittlungs-Parforceritt zu Sylvester bringt Hagen die Spuren übereinander und siehe da, an der Verknotung löst sich der Fall. Gute Ermittlungen sind immer auch mit einer Portion Illumination verbunden, der Kommissar und der Lehrer saufen in einem Wellnesslokal, bis alles geklärt ist. Hagen fällt auf seinem Fahrrad in Ohnmacht, von seinem Sturz kriegt er schon nichts mehr mit.
Das Ende darf nicht verraten werden, aber das Rätsel, ob es sich um Selbstmord oder Mord des Exschifahrers handelt, wird mit einem Überraschungsgriff gelöst. Und auch der Fall des verschwundenen Schülers wird einer logisch einwandfreien Lösung zugeführt.
Franz Kabelka lässt seinen Ermittlungshelden sympathisch angefressen in den sozialen Niederungen rund um Bludenz wühlen. Die Figuren sind restlos fertig und meditieren in kleinen Lichtflecken der Erinnerung über Möglichkeiten des Glücks. Die Schüler, zur Sozialarbeit überredet, kriegen ihr eigenes Leben nicht auf die Reihe und stehen dem System fassungslos gegenüber, sie sind wohl allesamt Kandidaten fürs Obdachlosenheim.
Im Wechsel von hohlen Fügungen und routinierten Floskeln entsteht letztlich jener Alltagskolorit, der das Ländle zum Greifen authentisch macht. Dass die Leiche ein Tiroler ist und der Kommissar ein widerwillig zurückgekehrter Gsi, verschärft den Blick auf die Provinz.
Wie bei einem guten Krimi üblich werden die kriminallogistischen Handgriffe mit der Zeit nebensächlich. Letzte Herberge ist ein Stück Realgeschichte, die von der richtigen Seite her aufgerollt wird, nämlich von unten, von außen und vom Rand her.
Franz Kabelka, Letzte Herberge. Kriminalroman.
Innsbruck: Haymon 2006. 240 Seiten. EUR 18,90. ISBN 978-3-85218-513-2
Weiterführende Links:
Haymon-Verlag: Franz Kabelka, Letzte Herberge
Wikipedia: Franz Kabelka
Helmuth Schönauer, 10-01-2007