Kurt Leutgeb, Schöffe

Buch-CoverKann ein Schöffe ein literarischer Held sein? Immerhin steht er unter Verschwiegenheitspflicht, darf nichts sagen, und wenn er sich was denkt, darf er es erst recht nicht sagen.

Kurt Leutgeb nimmt diesen seltsamen Beruf zum Anlass, um über Verschwiegenheit und Aufklärung, öffentliches Recht und privater Meinung, Allgemeinheit und Individuum demokratisch zu räsonieren.

Sein demokratischer Roman fällt sofort durch eine einmalige Besonderheit auf: statt der üblichen Namen sind hier Nummern ausgegeben, wobei 1 natürlich Ich heißt.

Die Nummer 1 erzählt in einem Guss über Stock und Stein, bis fast alles gesagt ist, und als Leser ist man erstaunt, was sich so über die Menschheit, das Rechtsempfinden und die Fiktion so alles sagen lässt.

Das ästhetische Prinzip von Schöffe beruht eben darauf, die Menschen zu Nummern zu machen, zu positiven ganzen Zahlen in der Reihenfolge ihres Vorkommens im Text, und die äußerst fragwürdige Individualisierung durch die Namensgebung zu unterlaufen. (82)

Das 1 ist Schriftsteller, Philosoph, denkendes Individuum und 1-Erzähler im Roman. Eines Tages trudelt der Amtsbrief ein, dass 1 jetzt Schöffe ist, und irgendwann dann kommt es zu diesem bemerkenswerten Vorgang: "Man verschöffte mich." (95)

In einem absatzlosen Erzählstrom laufen die Nummern und Handlungen kaum überschaubar ineinander über. Ab und zu werden Schlüsselwörter kursiv gedruckt, damit sich das Auge wieder orientieren kann, dann aber machen ganze Seiten in Kapitälchen-Schrift diese Orientierung zunichte. Dabei lohnt es sich, während der Lektüre wach zu bleiben, denn immer wieder sind kleine Verunreinigungen ausgestreut, die dem Leser wie ein gut gelöstes Rätsel Belohnung verschaffen. So wird etwa einmal ein Termin für die Schöffen ausgemacht und man einigt sich auf den Zweiundreißigsten. (108)

1 steigt immer wieder aus dem Erzählfluss aus und kommentiert das Geschehen. Mit diesem Kunstgriff bricht der Erzähler das Tabu der Verschwiegenheit, er stülpt seine Privatmeinung quasi aus seinem Schöffenkörper hinaus und wird dadurch ein Stück Öffentlichkeit, das sich über alle Sachverhalte ungeniert äußern darf.

Das Rechtswesen und Schöffentum sind nur ein leises Gerüst dieses gigantischen Gedankengebäudes, um quasi alles zu erzählen, was eine Gesellschaft bewegt.

Schöffe ist auf den ersten Seiten gewöhnungsbedürftig, bis man sich an diese Zerstörung der Namenskulte gewöhnt hat. Andererseits merkt man bald, dass viele Gedankengänge dieser Welt nur "name dropping" sind. Und gerade in der Literatur sprechen wir ständig von Helden, Individualitäten und Autoren, die letztlich nur Namen sind. Mit diesem Kult räumt Kurt Leutgeb radikal auf und zwingt den Leser, ordentlich zu lesen!

Kurt Leutgeb, Schöffe. Ein demokratischer Roman.
Klagenfurt: Sisyphus 2007. 180 Seiten. EUR 14,-. ISBN 978-3-901960-34-5.

 

Weiterführende Links:
Sisyphus-Verlag: Kurt Leutgeb, Schöffe

 

Helmuth Schönauer, 18-04-2008

Bibliographie

AutorIn

Kurt Leutgeb

Buchtitel

Schöffe

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2007

Verlag

Sisyphus

Seitenzahl

180

Preis in EUR

14,00

ISBN

978-3-901960-34-5

Kurzbiographie AutorIn

Kurt Leutgeb, geb. 1970 in Oberösterreich, lebt in Wien.

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