Waltraud Mittich, Grandhotel

Buch-CoverGrandhotels sind markante Versammlungsorte von Schicksalen, Lebensläufen und Lebensentwürfen. Oft überdauern diese edlen Einrichtungen die Jahrhunderte und spreizen sich mächtig gegen den jeweiligen Zeitgeist.

In ihren Zimmern und Gängen versickert zwischendurch die Zeitgeschichte und tritt manchmal einem Gast entgegen, wenn dieser hellwach Aufenthalt nimmt.

Waltraud Mittich versammelt unter dem edlen Titel Grandhotel verschiedene Karrieren, die sich in solchen Hotels kreuzen und durch Gespräche und Notizen zu handfesten Geschichten auswachsen.

Die Erzählerin Moia sucht immer wieder markante Hotels auf, um einerseits über sich selbst ins Reine zu kommen, andererseits auch über die verschlungenen Machenschaften der Geschichte zu einem erträglichen Bild zu gelangen. In acht Grandhotels stößt die Erzählerin auf die merkwürdigsten Verknotungen, in denen sich die jeweilige Zeit, ihre Mächtigen und ihre Unterdrückten zu kaum enträtselbaren Geheimnissen verdichten.

Im sizilianischen Palermo verwittert zwar die Altstadt seit Jahrhunderten, im Grandhotel Palme jedoch erblühen nicht nur die Gärten, sondern auch Liebschaften, Sehnsüchte und leise Intrigen.

Fast wie die Faust aufs warme sizilianische Auge passt das Palace-Hotel im alpinen Gossensass. Hier, an den Pfeiler der übermächtigen Autobahnbrücke geklemmt, spielt es sich ab, wenn eine Ballnacht beinahe in die Dimension einer Epoche ausufert. Die Erzählerin trifft auf eine ukrainische Aushilfskraft, die ihre Heimat notgedrungen verlassen hat, um im satten Tourismus Land Südtirol einen Überlebensfuß auf den Boden zu kriegen.

Im Misurina hingegen kommt es zu spontanen erotischen Ergüssen, als ein Mann seinen Koffer mit entsprechenden Utensilien auspackt und die Erzählerin, das Zimmer, ja den ganzen Kontinent mit seinen Phantasien überflutet. (66)

Was wir auf der Durchreise als Festung Franzensfeste kennen, entpuppt sich in dieser Erzählung als ein Grandhotel, worin kein Zimmer dem anderen gleicht. Den großen Heroen der Kunstwelt ist jeweils ein Raum gewidmet, halb Museum, halb laszive Anmache, um sich als Gast ungeniert auszustrecken. Ein verbunkertes Geheim-Hotel kann vielleicht am ehesten den Lauf der Geschichte erzählen, denkt sich Moia und erkundet und forscht und schnüffelt in diesem Grandhotel La Fortezza herum.

Das Personal hingegen spielt überall eine zurückgenommene Rolle, weshalb sich diese Sequenz schlicht Rezeption nennt. Eine Serviererin und ein Rezeptionist sind "untertags" williges Hotelpersonal, des Nachts heben sie ab. (106) Die Saison vergeht wie im Flug zwischen Arbeit und Glück, aber das Ende kommt wie in einem schlechten Film, sie ist schwanger und er löst sich in Luft auf.

In einem Postskriptum wird ganz Europa zu einem wabernden und glühenden Hotel, worin ständig neue Gäste und Geschichten auftauchen und das auch ständig erweitert werden muss. Ein Außenposten dieser mondän verästelten Welt müsste unbedingt in Danzig stehen, heißt es zukunftssicher.

Waltraud Mittichs Erzählung ist eine kluge Verflechtung von ankommenden und abreisenden Gedanken, seltsame Protagonisten werden ihrer Einmaligkeit zugeführt, indem sie ein Stück Geschichte erzählen und dann wieder verlöschen. Die große Geschichte legt sich wie ein brüchiges Dach über das kleine Alltagsgeschehen, und immer wieder regnet es Zuversicht und Melancholie. - Eine grandiose Verknüpfung von individuellen Lebensplänen und dem ungebändigten Mahlstrom der Geschichte.

Waltraud Mittich, Grandhotel. Erzählung.
Innsbruck: Skarabaeus 2008. 164 Seiten. EUR 17,90. ISBN 978-3-7082-3249-2.

 

Weiterführende Links:
Skarabaeus-Verlag: Waltraud Mittich, Grandhotel
SAV: Waltraud Mittich

 

Helmuth Schönauer, 18-06-2008

Bibliographie

AutorIn

Waltraud Mittich

Buchtitel

Grandhotel

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2008

Verlag

Skarabaeus

Seitenzahl

164

Preis in EUR

17,90

ISBN

978-3-7082-3249-2

Kurzbiographie AutorIn

Waltraud Mittich, geb. 1946 in Bad Ischl, lebt in Bruneck.