Helwig Brunner, Süßwasser weinen
Die Verschönerung unseres Blickes durch Gedichte ist wie Süßwasser weinen. In diesem paradoxen Bild, dass Tränen plötzlich wunderbar genießbar und trinkbar werden, liegt das Geheimnis der Lyrik von Helwig Brunner.
Die knapp hundert Gedichte sind in drei Klare Zyklen eingeteilt: Naturalien, Musikalien, Destillate.
Diese drei Kapitel berühren den Kern jeder Lyrik, sie widmen sich der Umgebung und Natur, sie gehen dem Klang der Musik nach, sie verdichten die Flocken des Alltags zu einem sachten Faden, der ins Gewebe der Erkenntnis führt.
Schon der Start ist fulminant:
Dünengrün // hier also im Grünen sein, / wie man im Reinen ist // im überraschend saftigen Gras / auf Dünen, die vom Weg aus // vorerst sandgelb schienen: / hier mit sich im Grünen sein (10)
Allein schon diese lupenreine Gedichtform, jeweils zwei Zeilen in drei Mini-Strophen zu gießen, bietet dem Leser und Hörer jenen Dreiklang an, aus dem sich die feine Harmonie eines edlen Zustands entwickelt.
Während in den Alpen Lawinen oft mit Schrecken, Vernichtung und Zerstörung der alpinen Kaligraphie zu tun haben, schwingt sich bei Helwig Brunner ein abgeklärter Glanz aus dem Desaster.
Lawine // was es dort unten zu denken gibt, / ist die Schichtung: die Stratigrafie // als einzig gültige Schreibweise, / während der ausgedünnte Luftraum // im Sturzschatten des Felsblocks / nur noch als Irrtum erscheint (37)
Manchmal sind den Gedichten kleine Zeilen vorangesetzt, die den Texten einen gewissen meditativen Drall verleihen.
Ich will kaum etwas, nur eins will ich, das aber sehr. (Anna T. Szabo) (33)
Alles von dir werd ich vergessen, außer dich. (Cees Nooteboom) (36)
Vielen Dank für mein sonderbares Gehirn. (Hans Magnus Enzensberger) (41)
Nimm nichts und füge nichts hinzu. (Basho) (74)
Man liest, lässt sich treiben, steigt an seltsamen Gedächtnisufern an Land und über die Textur legt sich allmählich die Kriechspur des Leseauges. Im Nachwort schreibt Raoul Schrott:
Bar jeder Schwere, wirkt die Schönheit dann so mühelos einfach: weil alles gesagt scheint, gleichsam zum ersten Mal. Wie es bei guten Gedichten immer ist. (108)
Helwig Brunner, Süßwasser weinen. Gedichte. Mit einem Nachwort von Raoul Schrott.
Wien: Sonderzahl 2008. ( edition graz Bd. 2). 111 Seiten. EUR 15,-. ISBN 978-3-85449-290-0.
Weiterführende Links:
Wikipedia: Helwig Brunner
Sonderzahl-Verlag: Helwig Brunner, Süßwasser weinen