Arne Rautenberg, Der Sperrmüllkönig

Buch-CoverIn einem trivialen Wohnhaus in unauffälliger Gegend spielen sich oft die philosophischsten Episoden ab. Wie in der Vorabendserie Lindenstraße wohnen x-beliebige Leute miteinander und untereinander, jeder hat einen liebenswerten Vogel im Hirn, der ihm verlässlich hilft den Alltag zu bewältigen.

In Arne Rautenbergs Roman vom "Sperrmüllkönig" zieht ein Dichter mit seiner Freundin in das Wohnhaus ein und ertastet sich allmählich die Umgebung.

Der Ich-Erzähler steht dabei ziemlich unter Stress, denn er ist Schriftsteller und ihm will ums Verrecken nichts Ordentliches einfallen. So zieht sich das wunderschöne Motto des Romans auch durch das Leben des Erzählers:

Eine ereignislose Zeit erfordert eine angestrengte Wahrnehmung. (5)

Das erste aufregende Erlebnis in der neuen Gegend ist eine guerilla-mäßig durchgeführte Umweltaktion. Ein Bewohner macht einen dilettantische Ölwechsel und schüttet das Öl anschließend in den Papiercontainer. Jetzt hat das Ich eine Aufgabe und holt anonym das Umweltamt ins Haus. Die Fronten sind geklärt, das Auge ist wachsam und auf permanente Beobachtung eingestellt.

So kommt auch der beobachtete Held ins Bild. Ein gewisser Hartmut ist begeisterter Sperrmüllsammler. Selbst einen ganzen Kühlschrank klemmt er auf den Fahrradständer und radelt ihn durch die Stadt. Flohmärkte erweisen sich als die geheimen Kathedralen, in denen die Dinge im zeitlosen Licht des Jenseits angeboten werden. Jedes Ding erzählt eine Geschichte, und wenn einmal gar nichts passiert, kann man immer noch ein Stück Sperrmüll in die Hand nehmen und einen philosophischen Seufzer ausstoßen über die Unendlichkeit, denn der Sperrmüll ist unendlich.

Es passiert absolut nichts, die einzelnen Bewohner spulen ihre Eigentümlichkeiten herunter, Alkohol, Polizei, Sozialamt geben sich die Klinke.

Auch der Ich-Erzähler strebt ungewollt seinem Höhepunkt entgegen. Während er und seine Freundin auf das Garen der Pizza im Rohr warten, überfällt die beiden ein Sex, wie er nicht von dieser Welt ist. Selbstverständlich verbrennt dabei die Pizza und die Freundin wird schwanger. Im letzten Drittel des Romans steht die Schwangerschaft im Mittelpunkt des Lebens, der Ich-Erzähler fühlt sich als Sperrmüllkönig, der den Müll als Untergebene hält, während Hartmut zur Sperrmüll-Gottheit aufrückt und stirbt. Ach ja, und mit viel Tamtam (157) kommt Tochter Viktoria zur Welt.

Arne Rautenberg erzählt wie in einer Karikatur von Vorabendserien von der Ereignislosigkeit der Welt. Wenn etwas geschieht, wird es zu Erlebnismüll und umgekehrt geht vom Müll die größte Erlebniskraft aus. Sprachlich pfiffig entstehen dabei umso neuere Tätigkeitswörter, je weniger Tätigkeiten auftreten. So treppt jemand die Stiege hinauf, die Helden braven sich (12), wenn sie brav zu gemäßigter Zeit in die Wohnung zurückkehren.

Der Sperrmüllkönig ist letztlich ein verschmitzt philosophischer Roman über die große Aufregung, die uns als Ereignislosigkeit Tag für Tag umgibt.

Arne Rautenberg, Der Sperrmüllkönig. Roman.
Hamburg: Hoffmann und Campe 2002. 160 Seiten. EUR 18,40. ISBN 978-3-455-06150-5

 

Weiterführende Links:
Verlag Hoffmann und Campe: Arne Rautenberg, Der Sperrmüllkönig
Wikipedia: Arne Rautenberg

 

Helmuth Schönauer, 28-07-2009

Bibliographie

AutorIn

Arne Rautenberg

Buchtitel

Der Sperrmüllkönig

Erscheinungsort

Hamburg

Erscheinungsjahr

2002

Verlag

Hoffmann und Campe

Seitenzahl

160

Preis in EUR

18,40

ISBN

978-3-455-06150-5

Kurzbiographie AutorIn

Arne Rautenberg, geb. 1967 in Kiel, lebt in Kiel.

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