Frank MacShane, Raymond Chandler
Hintennach ist es oft gar nicht so leicht, zu begründen, warum ein Schriftsteller ein Klassiker geworden ist, denn ein echter Klassiker passiert ohne Gesetzmäßigkeiten.
Raymond Chandler gilt als Klassiker der Privatdetektiv-Literatur, sein Held Philip Marlowe hat nicht nur Kultstatus sondern auch das dramaturgische Outfit einer Shakespeare-Figur.
Warum letztlich die Philip Marlowe Romane so prächtig funktionieren, liegt vielleicht daran, dass der Autor Raymond Chandler zwei Kulturen (die englische und die amerikanische) zusammengeführt hat und mit Marlowe einen verlässlichen Guide durch den gesellschaftlichen Dschungel Los Angeles kreiert hat.
In der ebenfalls mittlerweile zu einem Klassiker mutierten Chandler-Biographie erzählt Frank MacShane von der Prägung Chandlers in England, von seiner Rückkehr nach Amerika, seinem beruflichen Scheitern im Ölgeschäft und seiner mühseligen Schreibarbeit als Underdog-Autor und Kriminalschriftsteller.
Dabei wird das Bild aus möglichst vielen Zitaten und Textausschnitten zusammengesetzt. Viele dieser Stellen überfrachten die Biographie, aber zwischendurch gibt es grandiose Erkenntnisse.
Als ich anfing, Romane zu schreiben, hatte ich den großen Nachteil, absolut kein Talent dafür zu haben. Ich konnte meine Personen nicht in ein Zimmer hineinkriegen und wieder herausholen. Sie verloren ihre Hüte und ich ebenfalls. Wenn mehr als zwei Leute in einer Szene vorkamen, konnte ich keinen von ihnen am Leben erhalten. Bis zu einem gewissen Grad versage ich da heute noch. (111)
Mit dem Roman Der große Schlaf änderte sich diese angebliche Unbeholfenheit Chandlers schlagartig. Gerade die etwas ungelenken Auftritte Marlowes sind das einzig Verlässliche in einer aalglatten Gesellschaft, die alles mit Geld übertüncht. Das äußere glatte Ritual und die innere Zerrissenheit der Figuren, die vom Privatdetektiv meist mit der Psychologie des Brecheisens zu Tage gefördert wird, machen aus Chandler, Marlowe und dem großen Schlaf ein Konglomerat von Klassiker, auf das früher oder später jeder Leser stoßen muss.
Die Biographie MacShanes ist manchmal sehr breit gewalzt, die Sprache scheint sich an jene von Marlowe anzulehnen. Dazu kommt, dass die deutsche Übersetzung grottenschlecht und ärgerlich ist. Oft muss man sich als Leser seitenweise über völlig nichtssagende Satzkonstruktionen quälen, die offensichtlich nur eines im Sinn haben: zu zeigen, dass auch ein genialer Autor oft quälend langatmige Tage mit sich selbst bewältigen muss.
Nach der Lektüre dieser Biographie sollte man unbedingt wieder etwas Marlowe lesen, damit dieser verkalkte Eindruck von Chandler verwischt wird.
Frank MacShane, Raymond Chandler. Eine Biographie. A. d. Amerikan. von Christa Hotz, Alfred Probst und Wulf Teichmann.
Zürich: Diogenes 2009. 480 Seiten. EUR 22,90. ISBN 978-3-257-06708-8.
Weiterführende Links:
Diogenes-Verlag: Frank MacShane, Raymond Chandler
Wikipedia: Raymond Chandler