Werner Grabher, Nebenschauplätze

Buch-Cover

Miniaturen entfalten ihre wahre Größe durch Vorbei-Schauen. Wenn man Miniaturen anstarrt, zerfallen sie.

Werner Grabher geht, was die Titel seiner Texte betrifft, fürs erste einmal die Tiergattungen durch, denn eine gewisse Ordnung muss sein. Freilich tut sich sofort ein geheimnisvoller Zusammenhang auf, wenn nach der Hummel die Möwe und dann als einziges Tier ohne Artikel einfach Ameise kommt. Aber die Tiere spielen nur im Titel die Hauptrolle, in den Miniaturen sind sie Stofflieferant, Anlass für einen lexikalischen Eintrag oder Aufbereitungen für eine Prüfungsfrage.

In der ersten Geschichte von der Hummel etwa steht irgendwo ein Hummelnest herum und das Bemerkenswerte ist vielleicht, dass das Einflugloch vom vielen Ein- und Ausfliegen schon ziemlich abgewetzt und ramponiert ist. Das Hummelnest entpuppt sich sofort als Nebenschauplatz, der höchstens wie ein Ausleger auf einem Boot die Stabilität des Hauptereignisses garantieren soll. Der wahre Schauplatz der Hummel-Geschichte ist ein Kind, das ein kleines Bächlein aufstaut, für einige Augenblicke die Welt verändert und alles so gestaltet, wie es nur in der Phantasie geschehen kann. Und gerade als das Rinnsal halbwegs aufgestaut ist, kommt jemand und veranlasst den Abbau des Staubeckens, die Normalität ist wieder hergestellt.

In dieser Tonart sind die Miniaturen angelegt. In der Geschichte von der Möwe etwa wird eine Frau in einen Nebensatz verbannt und mit sichtbaren Leerstellen umhüllt. Graphisch zerfetzt es diesen Satz, denn die Leerstellen sind zum Nachlesen und Nachfühlen vorbereitet und verschlingen den Leser rettungslos. Dabei ist das alles nur der Nebenschauplatz, das Hauptereignis in der Möwe ist vielleicht jene Sequenz, wo jemand durch Musik ins eigene Gehirn sehen kann. (15)

Gerade als man sich auf die Miniaturen eingestellt hat, kommt eine riesige Geschichte. Der Tapir wirkt beinahe schon wie ein Roman, so umfangreich und vielschichtig  wird eine sogenannte Handlung präsentiert. Wie im absurden Theater führt das Zufällige und Sprunghafte Regie, die einzelnen Begebenheiten haben scheinbar überhaupt nichts miteinander zu tun, aber die Verlässlichkeit liegt im Unerwarteten.

Bei manchen Geschichten wie der Schlange oder dem Hund sind Sprichwörter und umgangssprachliche Fügungen Anlass für einen Plot, der auf den Nebenschauplatz führt. Schlange stehen ergibt automatisch einen langsamen, verrückt einfältigen Text, der Hund wird andererseits zu einem blöden Hund, der in Gestalt eines Halbchefs seine unguten Seiten in die Arbeitswelt wirft.

Zu all den Texten zeichnet Tone Fink seine Überraschungscoups, vom Rand her dringen seine gezeichneten Insekten ins Freie, ein Pferd ist zu einem Schatten abgemagert und spricht mit ihm, aus dem Rüssel des Tapirs purzeln Film-Kader von Handlungsschnipseln.

Werner Grabher schafft es mit seinen scheinbar etwas aus der Wahrnehmung gefallenen Nebenschauplätzen spielend, beim Leser höchste Konzentration auszulösen und den Blick zu verändern. Erst wer das richtige Vorbei-Schauen gelernt hat, darf sich auf die Tiefenschicht der Nebenschauplätze einlassen. Eine vergnügliche Art, sich selbst an der Nase zu nehmen und in eine unbekannte Welt zu blicken.

Werner Grabher, Nebenschauplätze. Miniaturen. Mit Illustrationen von Tone Fink.
Innsbruck: Skarabaeus 2010. 110 Seiten. EUR 17,90. ISBN 978-3-7082-3283-6

 

Weiterführende Links:
Skarabaeus-Verlag: Werner Grabher, Nebenschauplätze
Wikipedia: Werner Grabher

 

Helmuth Schönauer, 25-02-2010

Bibliographie

AutorIn

Werner Grabher

Buchtitel

Nebenschauplätze. Miniaturen

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2010

Verlag

Skarabaeus

Illustration

Tone Fink

Seitenzahl

110

Preis in EUR

17,90

ISBN

978-3-7082-3283-6

Kurzbiographie AutorIn

Werner Grabher, geb. 1948 in Warth / Vorarlberg, lebt in Bregenz.<br /><br /> Tone Fink, geb. 1944 in Schwarzenberg / Vorarlberg, lebt in Wien und Vorarlberg.