Ingram Hartinger, Rabe des Nichts

Buch-CoverEs gibt Gedichte, die sperren sich in sich selbst ein, sobald sie einen Leser sehen, und es gibt solche, die springen beinahe den Leser an und machen ihn neugierig mit semantisch rätselhaften Umarmungen.

Ingram Hartingers Gedichte machen auf Anhieb neugierig, man hält es nicht aus, nicht zu wissen, was hinter den rätselhaften Kapiteln steckt, die da heißen:

  • Manchmal berühr ich die Helle dessen
  • Manchmal fehlt es an allem
  • Manchmal verfolge ich das Wort auf keiner Nervenbahn
  • Manchmal im Blut des Vogels
  • Manchmal ein Sehnen auf abgenützter Lymphpiste

Diese Kapitelüberschriften deuten schon an, dass es in den Gedichte um eher rare Situationen geht, die nur dünn gesät auftreten und an die man sich nicht gewöhnen kann. Zudem führen die Gedichte immer in seltene Gefilde, die für das lyrische Ich oft bodenlos fremd sind.

Am ehesten ist noch das Areal einer Klinik so etwas wie überschaubarer Boden, scharf abgegrenzt von der Umgebung und auch in den Ritualen ein eigenes Reich. So heißt es in einem "Brief aus der Klinik" einmal, Klagenfurt ist nicht zu fassen. (12) Dabei bleibt offen, ob Klagenfurt an sich eine so unfassbare, schlüpfrige Stadt ist, oder ob es nur mit dem Standpunkt des Beobachters zusammenhängt, der quasi exterritorial von der Klinik aus auf die Eindrücke reagiert.

Überhaupt wechselt das auftretende Personal ständig seine Identität, einmal treten zwei Individuen als Pawlows Hunde auf und beeindrucken einander mit sicherem Instinkt. Aber auch Träume von einer Verbesserung der Zukunftsaussichten verpuffen leicht und münden gar in dem politischen Seufzer der Vergeblichkeit: "Kein Umsturz in Sicht" (21).

So bleibt dem lyrischen Ich vielleicht nur noch ein Abstecher in ein schönes Zimmer, wenn auch nur für kurze Zeit.

Ich lösche nicht "Im schönen Zimmer" / Ich lass den Titel für eine Weile stehen / Ich gehe auf und ab und rieche tiefsten Flieder [...] Und dann geh wieder fort ich verlass meine Haut (58).

Unter die Gedichte in vollster Poesie, knapp an die Hautgrenze der verletzten Seele geklemmt, stehen oft Notizen wie aus einem Tagebuchausriss oder einer zufällig übriggebliebenen Notation. Da ist dann für einen Wimpernschlag das "pissige Klagenfurt" zu entdecken, das sich wie ein Schmutzrand an die Politur des Blickes geheftet hat.

Ingram Hartinger führt in magische Gegenden, worin das Ich oft mit sich allein ist und als letzten Ausweg vielleicht um Hilfe ruft oder vielleicht nach jemandem Ausschau hält, der sich um diese Gedanken kümmert. In dieser abgeklemmten Umarmung schlummert noch etwas wie Liebe, vielleicht ist es auch nur die Sehnsucht danach. ?Ich denke an dich / und das ist kein Gedanke (167)

Rabe des Nichts ist eine aufregende Suche nach sich selbst, nach uns, nach dem Flügelschlag, mit dem wir abheben können in etwas Unbekanntes. Ingram Hartingers Gedichte kümmern sich um verlorene Seelen, die sonst niemand sucht.

Ingram Hartinger, Rabe des Nichts. Gedichte.
Klagenfurt: Wieser 2010. 177 Seiten. EUR 18,80. ISBN 978-3-85129-871-0.

 

Weiterführende Links:
Wieser-Verlag: Ingram Hartinger, Rabe des Nichts
Wikipedia: Ingram Hartinger

 

Helmuth Schönauer, 22-03-2010

Bibliographie

AutorIn

Ingram Hartinger

Buchtitel

Rabe des Nichts

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2010

Verlag

Wieser

Seitenzahl

177

Preis in EUR

18,80

ISBN

978-3-85129-871-0

Kurzbiographie AutorIn

Ingram Hartinger, geb. 1949 in Saalfelden, lebt seit 1979 in Klagenfurt.

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