Christoph Simon, Spaziergänger Zbinden

Buch-CoverDer Sinn des Lebens lässt sich mannigfaltig suchen, und was jemand dabei tut, ist letztlich egal, Hauptsache er macht es ein Leben lang.

Christoph Simon lässt seinen Spaziergänger Zbinden ein Leben lang Runden drehen und mit jedem Tag erschließt sich ein Stück Leben, mal mit Gegenwartsstoff ausgestattet, mal als Erinnerung.

Lukas Zbinden ist offensichtlich schon lange in einem Altersheim, man weiß von seinem früheren Leben nicht viel, weil man ihn nur als liebenswürdigen alten Herren wahrnimmt, der täglich seinen Spaziergang machen muss.

Zu diesem Zweck stellt man ihm den Zivildiener Kazim zur Verfügung, der sich eigentlich nur ab und zu unterhaken muss, wenn schwierigeres Gelände kommt und im übrigen eine menschliche Wand ist, gegen die der Spaziergänger Zbinden seine Gedanken werfen kann.

Zu den Vorteilen des geselligen Spazierens gehört, dass man nicht so leicht von sich selbst behelligt wird. Das ist besonders wichtig für Spaziergänger, die sich rasch von eigenen Gedanken ablenken lassen. (16)

Lukas Zbinden braucht immer wieder Geselligkeit, denn die einsamen Spaziergänge machen kirre, wie wohl sie durchaus philosophischen Sinn machen.

Spazieren heißt: Herauszufinden, wer man ist, und zu mögen, was man dabei entdeckt. (33)

Wir Leser spazieren natürlich von Seite zu Seite an Lukas Zbinden untergehakt mit. Allmählich entsteht eine ganze Lebensbeschreibung, Zbinden war Lehrer, der so unauffällig unterrichtet hat, dass sich manche seiner Schüler noch nach Jahrzehnten an ihn erinnern. Zbinden war ein Leben lang heftig in seine eigene Frau verliebt, bis diese gestorben ist, und dann ging die Liebe erst richtig los in der Erinnerung und im Schmachten voller Zärtlichkeit.

Ab und zu erfahren wir was von seltsamen Käuzen, die individuell großartig ihr Leben meistern. Ein Trinker, der von Geld nicht viel hält, lässt sich zum weisen Seufzer hinreißen: Was ist Geld, es braucht nur ein trockener Sommer zu kommen und es ist vertrunken! (52)

Die Wege werden vielleicht kürzer, aber was ein echter Spaziergang ist, braucht keine bestimmte Weg-Länge. Ausgangspunkt ist jeweils das Altersheim, die einzelnen Etagen wuchern zu weiten Gefilden aus, die gedachten Spaziergänge gehen in die physisch nachgeschrittenen über und vielleicht finden die heftigsten Spaziergänge ohnehin im Kopf statt.

In der Geriatrie gibt es den Merksatz: Nur worüber man ein Referat halten kann, das existiert! Daher lässt sich Lukas Zbinden am Schluss noch zu einem Referat im Altersheim überreden, Thema ist natürlich das Spazieren. Jetzt, wo die Spaziergänge in einem Referat untergekommen sind, ist das Leben rund und abgeschlossen.

Christoph Simon steckt seine ganze erzählerische Liebe in diesen feinen Spaziergänger, der sich die Gedanken sorgfältig ergeht, die Gefühle mit der Spazierbewegung in Einklang bringt und den Lesern Lust macht auf das Denken und Gehen, kurz: auf das Leben. Ein Roman voller Sinnlichkeit und Sympathie zum Altwerden.

Christoph Simon, Spaziergänger Zbinden. Roman.
Zürich: Bilger 2010. 180 Seiten. EUR 19,80. ISBN 978-3-03762-005-2.

 

Weiterführende Links:
Bilger-Verlag: Christoph Simon, Spaziergänger Zbinden
Wikipedia: Christoph Simon

 

Helmuth Schönauer, 23-03-2010

Bibliographie

AutorIn

Christoph Simon

Buchtitel

Spaziergänger Zbinden

Erscheinungsort

Zürich

Erscheinungsjahr

2010

Verlag

Bilger

Seitenzahl

180

Preis in EUR

19,80

ISBN

978-3-03762-005-2

Kurzbiographie AutorIn

Christoph Simon, geb. 1972 in Langnau / Emmental, lebt in Bern.

Themenbereiche