Raimund Jäger, Listen

jaeger, listenIn der Literaturkunde gibt es so etwas wie die Nullstufe des Erzählens, das heißt, es wird dem Leser etwas Material angeboten, aber es wird nicht erzählt. Die Liste ist so eine Materialiensammlung, die nichts kommentiert und deren Information ausschließlich in der Auswahl der aufgezählten Elemente besteht.

Raimund Jäger "erzählt" in seinem Listen-Roman von einem knapp vierzig Jährigen Mann, der einen Tick hat: alles muss sich in Listen darstellen lassen. Aus diesem Grund hat dieser Held namens Rochen eine Grundeinteilung getroffen: Menschen die ich mag, Menschen die ich nicht mag, Menschen die ich zuordnen kann/will, Ziele.

In der Folge schreibt Rochen alles in Listen auf, was für sein Leben interessant sein kann. Dabei entsteht eine Schwarz-weiß-Malerei, wie sie in der Österreichischen Gesellschaft durchaus üblich ist. Dazu kommt, dass diese Listen den Anspruch von Weltgeltung an den Tag legen, während das aufgezählte Material oft nicht einmal das Niveau einer Provinzstadt erreicht.

Manchmal werden die Listen üppig und wuchern zu einer Anekdotensammlung aus, dann wiederum werden Tage in erlebnislose Stundensequenzen zerlegt und gleichen einem Fahr-Protokoll eines Lokführers.

Gegen Ende eines jeden Kapitels taucht dann in Form einer knalligen Zeitungsmeldung das Faksimile einer gefaketen Nachricht auf. Dabei wird das Ergebnis skurriler Aufzählungen zu einer realostisch wirkenden Wahnsinnsnachricht komprimiert nach dem Motto, wird Politiker NN doch noch Selbstmord begehen?

Apropos Selbstmord: Natürlich gibt es auch eine Sammlung von Anweisungen zum Thema Suizid. "Bitte. Bring dich um. Aber tu mir einen Gefallen: Lass das Handy an, damit ich den Aufprall höre!" (55)

Neben diesen makaberen Empfehlungen gibt es allerhand nützliche Skizzen, etwa wie man richtig masturbiert (21) oder wie man eine Plattensammlung richtig aufstellt (alphabetisch, nach Farbe, chronologisch, nach Geschmack (110).

Raimund Jäger präsentiert Rochen als Person voller Ordnungsliebe und Perfektionismus. Hinter der etwas verrückten Figur des Rochus treten Menschen hervor, die wir Leser jeden Tag erleben - der Beamte, der einen Listen-Orgasmus nach dem anderen hinlegt, - der Bibliothekar, dem einer abgeht, wenn er ein Buch alphabetisch richtig ins Regal zurückstellt, - der digitale Fotofreak, der seine Bildersammlung nach der Größe der Pixel zusammenstellt.

Raimund Jägers Roman kriecht jedem von uns unter die Haut und weist uns darauf hin, dass wir ununterbrochen von Listen umgeben sind. Jedes Zeugnis ist eine Liste, jeder Kalender, jeder Kontoauszug. So gesehen hat jeder von uns einen formidablen Listen-Defekt, dieser Roman zeigt ihn schonungslos und persönlich auf.

Raimund Jäger, Listen. Roman.
Innsbruck: Skarabaeus 2010. 207 Seiten. EUR 18,90. ISBN 978-3-7082-3289-8.

 

Helmuth Schönauer, 27-08-2010

Bibliographie

AutorIn

Raimund Jäger

Buchtitel

Listen

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2010

Verlag

Skarabaeus

Seitenzahl

207

Preis in EUR

18,90

ISBN

978-3-7082-3289-8

Kurzbiographie AutorIn

Raimund Jäger, geb. 1961, lebt in Bregenz.

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