Marjana Gaponenko, Anuschka Blume

Buch-CoverIn der guten alten Glühbirne zischt der Strom zwischen den Haltedrähten hin und her und macht Liebe und Licht. Ähnlich ergeht es den beiden märchenhaft Verliebten aus der ukrainischen Gegenwart, sie ist Volksschullehrerin in einem Provinznest, er ist weitläufiger Journalist vornehmlich im Zweistromland.

Annuschka und Pjotr sind die meiste Zeit getrennt und verkehren "remote" miteinander. Während sie einander herzzerreißende Briefe schreiben, erfinden sie die Welt neu und sparen dabei nicht mit romantischer Ausstattung.

Die Figuren spazieren zuerst im Kopf herum und treten dann wie selbstverständlich auf die Gasse des Dorfes, die Landschaft zieht sich zu einer plastischen Weite zusammen und bäumt sich vor den Augen des Sinnierenden auf.

Selbst die Arbeitswelt der beiden fügt sich harmonisch ein in den Schwall von Farbe, Licht und zärtlichen Lüften. Die Kinder der Lehrerin schreiben wie wild die schönsten Gedichte und der Journalist ruft sich als Ressortleiter für Visionen aus. Manchmal spielen auch die Gattungen keine Rolle, wenn sich etwa eine wunderschöne Stute zum Redakteur an die Bar setzt und augenklimpernd ein Getränk bestellt.

Was Sie mir über Ihr Pferd und Ihre Mutter erzählt haben, ist sehr schön, liebe Anna Konstantinowna. Ihre Angst, dass die Tiere sich langweilen könnten, weil sie keine Bücher lesen, kann ich sehr gut verstehen. Früher, als kleiner Bub, habe ich mir gerne Geschichten ausgedacht, wie die Tiere sich in ihrer Freizeit beschäftigen. (137)

Wenn man so innig an den eigenen Geschichten arbeitet, kann man durchaus per Sie sein und ist dennoch seltsam intim. Die Entfernungen spielen keine Rolle, auch die Bedeutung des Fleckens Erde, an dem der Traum geschieht, ist letztlich für den Fortgang der Weltgeschichte bedeutungslos.

Die beiden Traumspezialisten tasten sich behutsam durch die eigenen Visionen und nehmen dabei den anderen mit, ohne diesen in seiner Persönlichkeit niederzuringen. Selbst das Ende dieser phantastischen Liebe geht scheinbar leicht und luftig über die Bühne, denn es scheint Traum-logisch zu sein, dass diese Beziehung in einen anderen Zustand übergehen und sich auflösen muss.

Mein Liebster, dies ist mein letzter Brief. Seien Sie ohne Sorge: Ich werde weiterleben, aber nicht in dem, was gesagt und getan wird. Ich lebe im Nichtgesagten und Nichtgetanen weiter, im wahren Leben. Denken Sie nicht mit Traurigkeit an mich, aber denken Sie an mich. Ohne Sie zu berühren, habe ich Sie tausendfach berührt, Ihren Hals umarmt. Da wo wir saßen und schwiegen, da habe ich laut geredet von meiner Liebe zu Ihnen. (214)

Anuschka Blume ist ein rätselhaft euphorischer Roman über die Sprachlosigkeit in der Liebe, der Text steht heftig unter einem stillen Strom und wenn man die Geschichte mit den Augen berührt, wird es hell und alles wird für einen Augenblick klar. - Eine wunderbarer Ausbruch aus allem, was sonst der Schwerkraft unterliegt.

Marjana Gaponenko, Anuschka Blume. Roman.
St. Pölten: Residenz 2010. 256 Seiten. EUR 21,90. ISBN 978-3-7017-1544-2.

 

Helmuth Schönauer, 07-10-2010

Bibliographie

AutorIn

Marjana Gaponenko

Buchtitel

Anuschka Blume

Erscheinungsort

St. Pölten

Erscheinungsjahr

2010

Verlag

Residenz

Seitenzahl

256

Preis in EUR

21,90

ISBN

978-3-7017-1544-2

Kurzbiographie AutorIn

Marjana Gaponenko, geb. 1981 in Odessa, lebt in Mainz, schreibt seit 1996 auf Deutsch.

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