Josef Kleindienst, An dem Tag, als ich meine Friseuse küsste, sind viele Vögel gestorben

Buch-CoverIn einer Welt, in der die wichtigsten Nachrichten in der Spam-Box abgelegt werden, haben echte Nachrichten oft keinen Abnehmer mehr. Was nützt es, wenn die besten Offenbarungen allgemein zugänglich sind, wenn der Wert der Nachrichten nicht mehr erkannt wird?

Josef Kleindienst aktiviert jäh eine Nachrichtenbox, in der es zwischen Input und Output keinen Unterschied gibt. Wie in alten Spionage-Thrillern werfen imaginäre Nachrichtendienste ihre Sensoren aus und das aufgezeichnete Material läuft auf einem Endlosband seinem unbekannten Ende entgegen.

Ein erzählender Spion seiner selbst irrt durch einen Haufen von Geschichten, Überschriften, wahren und erfundenen Begebenheiten. Ein Zählwerk, das fünfstellige Zahlen zulässt, gibt Abrissnummern aus, bei 619 ist die Story zu Ende.

Denn die einzelnen Wahrnehmungs-Elemente haben indirekt doch alle miteinander und untereinander etwas zu tun. Da sterben, wie schon im Titel angekündigt, Vögel, während das Ich zur Friseuse geht, da rotten sich Affen aus dem Zoo seltsam organisiert zusammen und planen vielleicht den entscheidenden Putsch, da meldet sich ein russischer Offizier aus dem Untergrund und will eine sexuelle Dienstleistung.

Der Held lässt sich von diesem Bombardement an Wahrnehmungsangeboten immer wieder einschüchtern und hat zwischendurch nur eines im Sinn: aus dieser Wahrnehmungsorgie auszusteigen.

00383 // Nirgends ein Loch, in das ich mich verkriechen könnte, und nirgends Sonnenstrahlen und nirgends ein Killer. (89)

Manchmal erinnern die Prosazellen an Zusammenfassungen noch nicht geschriebener Romane, dann wiederum sind sie jeweils ein grandioser Anfangssatz für eine Super-Story im Weltformat.
Träume sind gefährlich, der Held legt seinen nackten Körper entlang eines anderen Körpers und trotz der Genauigkeit der Position handelt es sich um einen Irrtum. Draußen im Zoo haben die Affen die kritische Masse erreicht und drohen das ganze Informationssystem zu kippen.

Während manche Überlegungen einen großen Publikumskreis ansprechen, wenn etwa Terroristen ein Flugzeug über dem Atlantik sprengen wollen, sind andere Feinheiten eher von intimem Interesse:

Ich überlege, wie oft Frau Markesang einen Orgasmus hat, und ob sie auch Orgasmen hat, während sie ihre Kunden betreut. (104)

Ich kontrolliere meine Mottenfalle. Ich habe wieder nichts gefangen. (126)

Josef Kleindienst startet mit seiner ungestümen Story-Salve einen erzählerischen Überraschungsangriff auf den Leser. Die Irritation löst sich mit Ironie ab, kaum glaubt man, etwas begriffen zu haben, verändert sich die Sachlage schon wieder grundlegend. Der erzählende Held müht sich redlich ab, eine Ordnung in die Nachrichtenlage zu bringen, als Leser ist man angehalten, diesem Helden beizustehen. - Ein skurriles Lesevergnügen.

Josef Kleindienst, An dem Tag, als ich meine Friseuse küsste, sind viele Vögel gestorben.
Wien: Sonderzahl 2010. 136 Seiten. EUR 15,-. ISBN 978-3-85449-339-6.

 

Helmuth Schönauer, 22-11-2010

Bibliographie

AutorIn

Josef Kleindienst

Buchtitel

An dem Tag, als ich meine Friseuse küsste, sind viele Vögel gestorben

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2010

Verlag

Sonderzahl

Seitenzahl

136

Preis in EUR

15,00

ISBN

978-3-85449-339-6

Kurzbiographie AutorIn

Josef Kleindienst, geb. 1972 in Villach, lebt in Wien.

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