Linus Volkmann, Endlich natürlich

Buch-CoverJede Epoche hat ihre spezifischen Kommunikationsrituale. Während die Etiquette ihre abgehobenen Handbewegungen und Stehverrenkungen abführt, wissen die niedrigen Chargen oft nicht, wie sie sich benehmen sollen.

Eine Faustregel für sozial niedrig gestellte Personen lautet: Du musst möglichst natürlich rüberkommen!

Linus Volkmann mischt die Partygesellschaft der Underdog-Society ordentlich auf. Sein Held Wilhelm Bittner ist ein grießgrämiger Überlebenskünstler, dem die Menschen ordentlich auf die Socken gehen. Der Name sagt schon alles, Bittner ist ziemlich verbittert und spult sein Leben als Caterer herunter. Durch diesen Job ist er gezwungen, die Festivitäten der Menschen an ihrer Hinterseite auszuhalten.

Gleich zu Beginn stößt ihm ein mieser Österreicher schlecht auf, der wegen seines sinnlosen Alpin-Bartes nur das "Fellgesicht" genannt wird. Später taucht ein Finne auf, der den Part des wahnsinnigen Randbewohners der EU vortrefflich herunter spult.

Zwischen diesen Archetypen kraftvollen Lebensstils tauchen allerhand halb-gezähmte Figuren auf, die ihr Leben als Radiomacher, Werbetexter, Halbtagsdesignerinnen oder auch hormongeschädigte Stalkerinnen in das brodelnde Stadtgefüge setzen.

Im Umgang mit diesen seltsamen Typen entwickelt Bittner eine Art Überlebens-Knigge, der in den einzelnen Kapiteln als Motto und Sinnsprüche vorangestellt wird.

Ach Kinder! Der Kitt des Fensters, aus dem wir alle hinausschauen und das wir Leben nennen. (61)
Du nennst es Depression, ich nenn es Party. (78)
...hatte mich von virenspuckenden Abfahrtsläufer-Assen befingern lassen müssen. (122)
Den Guten weint der Herrgott ins Grab. (166)

Überhaupt stehen in dieser chaotischen Welt Pseudoratschläge, Benimmregeln und Verhaltensanregungen hoch im Kurs. Eine ausführliche Dokumentation beschäftigt sich etwa damit, wie man sich im Amateur-Theater zu verhalten hat, denn vielleicht ist die ganze Welt ja ein Theaterstück.

Wenn man in einer Wohngemeinschaft zusammenlebt, sollte man unbedingt die Vor- und Nachteile in einer Liste eintragen und abwägen. Die Steigerung von Wohngemeinschaft ist übrigens finnische Wohngemeinschaft, offensichtlich eine Vermischung aus Sauna und überhitztem Sozialklima.

In diese groben Verhaltensmuster zugespitzter Natürlichkeit sind triviale Dinge eingebaut wie die Liebschaft des Vaters zu einer viel jüngeren Frau, die plötzliche Schwangerschaft an einer unerwarteten Stelle oder das Ausbleiben einer fix versprochenen Freundschaft.

Der Held baggert sich durch den Matsch des Daseins und alle Verhaltensmaßnahmen ändern nichts am ständigen Durchdrehen.

Linus Volkmann erzählt schnoddrig, alltagsbezogen. Sein Sound spiegelt gekonnt die aktuelle Gesprächslage in einer Gesellschaft sinnlosen Gefühl-Konsums wieder. Die tagespolitischen Irritationen, die von der Regierung täglich nach unten ans Volk geschickt werden, kommen dort als perfekter Mist an. Endlich natürlich ist der Überlebens-Roman in einer Szenerie voller Schrott und abgelaufener Sachen.

Linus Volkmann, Endlich natürlich. Roman. Mit Zeichnungen von Ole Kaleschke.
Mainz: Ventil 2010. 174 Seiten. EUR 12,90. ISBN 978-3-931555-54-2.

 

Helmuth Schönauer, 10-12-2010

Bibliographie

AutorIn

Linus Volkmann

Buchtitel

Endlich natürlich

Erscheinungsort

Mainz

Erscheinungsjahr

2010

Verlag

Ventil

Seitenzahl

174

Preis in EUR

12,90

ISBN

978-3-931555-54-2

Kurzbiographie AutorIn

Linus Volkmann, geb. 1973 in Frankfurt, lebt in Köln.

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