Paulus Hochgatterer, Das Matratzenhaus

Buch-CoverAn der österreichischen Seele beißt sich letztlich jeder Schriftsteller die Zähne aus, am ehesten gelingt es noch der Psychiatrie, dieses weite Land (Schnitzler) halbwegs in den Griff zu bekommen.

Paulus Hochgatterer lässt im Matratzenhaus einen Kinderpsychiater aufmarschieren, um diesem psychischen Lurch in den Seelen der Menschen so etwas wie fachliche Wortlosigkeit entgegenzusetzen. Begleitet wird der Psychiater von einem Kripo-Beamten ländlichen Zuschnitts, als Gegenposition zur amtlichen Recherche treten eine Volksschullehrerin und ein aus Indien adoptiertes Mädchen auf.

Scheinbar läuft das Leben unter der sonnigen Glasur einer Happy-peppy-Gesellschaft ab, die Stimmung ist voller guter Laune und alle Wortmeldungen sind spritzig vage wie eine Ö-drei-Moderation. Aber wenn man genauer hinschaut, tut sich fast stündlich Ungeheures, ein paar Kinder werden der Reihe nach geschlagen, der Religionslehrer hat ein inniges Leib-Verhältnis mit der Volksschullehrerin, der pubertierende Sohn des Psychiaters ist vielleicht ins Drogenmilieu abgetaucht, ein Unternehmer schwimmt wie ein Wahnsinniger durch den See, jemand schneidet sich die Pulsadern auf, ein anderer springt mit dem Seil um den Hals vom Gerüst.

Bei keiner dieser Tätigkeiten lässt sich abschätzen, ob sie von Normalen oder Wahnsinnigen ausgeführt wird. Irgendwo in der Mitte dieses sozialen Provinzlebens steht das sogenannte Matratzenhaus, in dem Matratzen verschiedenster Konsistenz aufgebahrt sind. Kann sein, dass darin geschändet wird, vielleicht werden auch nur Pornos gedreht oder das Matratzenhaus ist ein sinnliches Relikt aus einem ehemaligen Matratzenlager.

Während man als Leser von den Psychen der Figuren in die Tiefe des eigenen Bewusstseins gerissen wird, lösen sich manche Verknüpfungen harmlos auf, manche lassen einen verzweifelten Patienten zurück, manche einen uneinsichtigen Täter. Und das amtliche Auge Österreichs wacht in Gestalt von Kripo- und Psycho-Beamten über das Treiben seiner Bewohner.

Am Rande der Erkenntnisse angelangt fasst der Kripo-Mensch die Lage bei einem Bier zusammen.

"Weißt du was das schlimmste ist" sagte er, "dass man keine Ahnung hat. Von nichts. Und dann sitzt du da und fragst dich, wann du begonnen hast, diese Dinge zu übersehen. Am Ende merkst du, dass du von Anfang an nicht dabei warst. Dann baust du dir eine Geschichte, irgendeine, und versuchst dir vorzustellen, wie es gewesen sein muss". (293)

Genauer lässt sich die österreichische Seele momentan auf dieser Welt nicht beschreiben.

Paulus Hochgatterers Matratzenhaus ist eine atemberaubende Geschichte voller unauffälliger Typen, vor denen wir uns letztlich fürchten, weil wir es selber sind, tierisch bodenlos und ohne jeglichen moralischen Intellekt.

Paulus Hochgatterer, Das Matratzenhaus. Roman.
Wien: Deuticke 2010. 293 Seiten. EUR 20,50. ISBN 978-3-552-06112-5.

 

Helmuth Schönauer, 13-12-2010

Bibliographie

AutorIn

Paulus Hochgatterer

Buchtitel

Das Matratzenhaus

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2010

Verlag

Deuticke

Seitenzahl

293

Preis in EUR

20,50

ISBN

978-3-552-06112-5

Kurzbiographie AutorIn

Paulus Hochgatterer, geb. 1962 in Amstetten, lebt als Schriftsteller und Kinderpsychiater in Wien.

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